Das Wu-Wei-Prinzip oder die Kunst des Tuns durch Nicht-Tun

von Maxi Auerswald
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Wu-Wei Prinzip Titelbild

Wu-Was?! Das fragen sich bestimmt einige und erst recht, was das mit Schnell.Einfach.Gesund zu tun haben soll. Aber sei unbesorgt, nachdem Du diesen Beitrag gelesen hast, wirst Du nicht nur wissen, was das Wu-Wei-Prinzip besagt und wie Du es in Deinem Alltag nutzen kannst, sondern auch am eigenen Körper erfahren, welche Stärke diesem Prinzip zugrunde liegt.

Übrigens – passend dazu haben wir eine Episode in unserem Podcast. Du kannst sie Dir anhören:

 

Ursprung und Grundgedanke

Der Grundgedanke wird der fernöstlichen Lehre des Taoismus zugeschrieben, welche durch den chinesischen Philosophen Laotse begründet wurde. Dessen Hauptwerk – das „Tao Te King“ – versucht paradoxe Prinzipien begreiflich zu machen und nimmt an verschiedenen Stellen Bezug auf das vom Wollen losgelöste Handeln.

Doch was soll das konkret heißen?

Stell Dir einen Fluss vor: Er beginnt als Quelle, wird zum Bach und kann sich mit der Zeit in einen stattlichen Strom verwandeln. Je nach Umgebung fließt er schneller oder gemächlicher. Sein Wasser kann in der Hitze verdunsten und bei Niederschlag nimmt er mehr Wasser auf und trägt dieses weiter.

Wu_Wei_Prinzip_Strömung

Das Leben ist ständig im Fluss.

Der Fluss wird sich nicht fragen, ob er besonders schön oder hässlich, schnell oder langsam, gut oder böse ist. Er wird auch nicht planen, was er alles bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht haben muss. Dadurch nimmt er ganz nebenbei der Dualität – also der Polarität von Gegensätzen – die Schärfe und somit ihre destruktive Komponente.

Er fließt einfach und nimmt die Veränderungen um sich herum auf und mit auf seinen Weg, ohne dass sich etwas an seinem Kern – ein Fluss zu sein – ändert.

Jetzt stell Dir vor, dass wir nicht über Wasser, sondern über Energie reden. Und dass der Fluss nur ein Sinnbild für ein Gefäß ist, damit diese von A nach B kommen kann.

Dieser Vergleich macht bildlich, was Tun im Nichtstun bedeutet: Nämlich zu fließen und zwar ohne die Anspannung, dieses Fließen in eine bestimmte Form pressen zu müssen.

 

Was passiert, wenn Wu-Wei in Deinem Leben fehlt?

Dann wird es vereinfacht gesagt chaotisch und das sowohl auf der geistigen als auch auf der körperlichen Ebene. Unterscheiden kannst Du hierbei zwischen zwei Tendenzen: Der Über- und der Unterspannung.

 

Überspannung oder das „Zu-sehr-Wollen“

Kennst Du das, wenn Du in einem Lebensbereich etwas so sehr willst, dass Du völlig aus dem Gleichgewicht bist?

Stell Dir vor, Du erlernst gerade eine neue Sportart – z. B. das Surfen – und übst jeden Tag. Du gehst dabei weit über Deine eigenen Grenzen hinaus und hast Dein Ziel – sicher auf dem Brett zu stehen – genau vor Augen.

Dabei ignorierst Du alle körperlichen Warnzeichen – die aufgescheuerten Knie, die vom Salz und vom Neoprenanzug wunde Haut und den durch die Unterkühlung ausgelösten Schnupfen, der im Anmarsch ist.

Diesen Mechanismus kennst Du vielleicht auch aus anderen Lebensbereichen:

  • Im Beruf, wenn Du alles für den nächsten Karrieresprung gibst
  • Im Sozialen, wenn Du für das nächste Fest mit Freunden oder der Familie einem Sternekoch Konkurrenz machen willst
  • Im Häuslichen, wenn Du rund um Weihnachten nicht zur Ruhe kommst, weil es immer noch schöner geputzt, dekoriert und eingerichtet sein könnte

So funktioniert Überspannung und diese geht meist Hand in Hand damit, dass Du etwas „zu sehr“ willst.

Wu_Wei_Prinzip_Überspannung

Wenn “Zu-sehr-Wollen” zur Überforderung wird…

 

Unterspannung oder die Stolpersteine des (Selbst-)Mitleids

Kennst Du das Gefühl, in Selbstmitleid zu versinken und dadurch nicht vom Fleck zu kommen? In diesem Beispiel schwächst Du Dich selbst und beeinträchtigst Dich dabei, Lösungen zu finden.

Noch drastischer: Wenn Du Mitleid mit anderen hast, schwächst Du sowohl die anderen als auch Dich selbst.

Wichtiger Hinweis: Unterscheide bitte immer zwischen Mitgefühl und Mitleid. Mitgefühl kannst Du empfinden, ohne Dich in das emotionale Erleben Deines Gegenübers einzumischen. Mitleid hingegen hilft niemanden. Den genauen Unterschied wirst Du nach der Körperübung besser verstehen – versprochen!

Wenn Du in der Unterspannung bist, wirst Du auch leichter kontrollier- und manipuliarbar von Außen. Du wirst “herumschubsbar”, gehst leichter in die Opferrolle, wirst von äußeren Umständen oder anderen Menschen beeinflussbar. Du bleibst nicht bei Dir und Deinen Zielen und Wünschen, sondern wirst ein Opfer der Ziele und Wünsche anderer. Ein freies Leben sieht anders aus.

Unterspannung hat zur Folge, dass Du Dich geistig und körperlich geschwächt und im schlimmsten Fall komplett blockiert fühlst. Für manche Menschen ist dieser Zustand ein dauerhafter Begleiter.

 

Wu-Wei körperlich (er-)leben

Lass uns an dieser Stelle anschauen, wie sich Über- oder Unterspannung körperlich zeigen. Dafür möchte ich Dir ans Herz liegen, dieses fünfminütige Video anzuschauen und im Idealfall die vorgestellte Übung mit einer Person Deines Vertrauens nachzustellen.

Zum Hintergrund: Wenn Du im Wu-Wei, also in der Mitte des Spannungsfelds bestehend aus „Zu-sehr-Wollen“ und „Nicht-Wollen“ bist, bist Du in Deinem Grundtonus. Und das Beste? Im Grundtonus bist Du im bildlichen und im wörtlichen Sinne unumherschubsbar.

Sportler erleben dieses Phänomen kurz vor Wettkämpfen, wenn der Kopf „ganz leer“ wird:

Die Vorbereitung ist abgeschlossen, gleich geht es los und jetzt geht es nur noch darum das, wofür man sich vorbereitet hat, zu tun und zwar unabhängig vom Ergebnis.

Das Kopfkino, das im Anschluss durch die Bewertung und ggf. Verurteilung des Erlebten einsetzt, hat jetzt Pause.

Noch eindrücklicher wird dies bei jeglicher Kampfsportart: Sobald sich die Gegner gegenüberstehen und kurz bevor der Kampf seinen Lauf nimmt, ist derjenige im Vorteil, der länger im Grundtonus bleibt.

Wu_Wei_Prinzip_Boxer

Auch sportliche Kämpfe werden im Kopf entschieden.

 

5 Tipps zur Gestaltung Deines Alltags mit dem Wu-Wei-Prinzip

Im Wu-Wei, bzw. im Grundtonus zu sein, ist ein Zustand und keine Aktivität. Du kannst also alles, was geschieht, in dieser Haltung erleben. Und zwar unabhängig davon, ob Du dabei eine aktive oder passive Rolle einnimmst.

Beschreiben könnte man diesen Zustand mit Begriffen wie: Geerdet, „völlig bei Dir“, ruhig, gelassen, gleichmütig, kraftvoll, unumherschubsbar…

Wenn sich das noch ungewohnt oder in weiter Ferne für Dich anfühlt, gibt es allerdings verschiedene Brücken, die Dir den Zugang zu dieser Haltung erleichtern können:

 

#1 Visualisierung

Stell Dir eine Situation vor, die für Dich Wu-Wei widerspiegelt. Also einen Moment, in dem Du völlig bei Dir bist und losgelöst von allen Erwartungen – auch Deinen eigenen – sein darfst.

Das kann alles sein, z. B. ein Moment in freier Natur, den Du allein und ohne Zeitdruck genießen konntest. Gehe bei der Visualisierung dieser Situation sehr konkret vor:

  • Was siehst Du?
  • Was hörst Du?
  • Was riechst Du?
  • Was fühlst Du?

Je mehr Sinne, Du einbeziehst, desto stärker wirkt die Visualisierung. Manchen Leuten fällt diese Übung mit geschlossenen Augen leichter, andere bevorzugen, die Augen offenzuhalten. Bei manchen bewegt sich die Situation wie bei einem Film, bei anderen ist es eine Momentaufnahme. Es gibt hier kein „richtig“ und kein „falsch“.

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Das Visualisieren dieser für Dich kraftvollen Situation, wird Dir dabei helfen, in den Grundtonus zu kommen. Je öfter Du diese Übung machst, desto leichter wird es Dir fallen, diese Haltung abzurufen.

Wu Wei Prinzip Visualisierung

Was symbolisiert für Dich Wu-Wei?

 

#2 Sport

Am besten ein Kampfsport – such es Dir aus: Karate, Judo, Aikido, Fechten, Boxen, …

Spaß beiseite, auch wenn aus meiner Sicht jeder von Kampfsport profitieren kann, ermöglicht Dir auch jede andere Form von Bewegung etwas Essenzielles:

Einen besseren Zugang zu Deinem Körper und Deiner Haltung.

Durch vieles Sitzen, Arbeiten in künstlicher Umgebung und das Fehlen von körperlichen Reizen, wie z. B. Kälte, erschlafft unsere Muskulatur und unsere Faszien verformen sich, was wiederum Fehlstellungen wie eine gekrümmte Grundhaltung begünstigt.

Alles, was Dir mehr Beweglichkeit und Kraft verschafft, stärkt Deinen Grundtonus dadurch, dass Dein Körper aktiviert wird und sich verbunden mit Dir anfühlt.

Also raus aus der gemütlichen Wohnung und auf zur nächsten Sporteinheit – am besten in freier Natur!

 

#3 Meditation

Was Dir auf körperlicher Ebene Kraft schenkt, kannst Du auch auf geistiger Ebene mit in Deinen Alltag nehmen: Stell Dir Dein Gedankenkarussell wie eine geistige Fehlhaltung vor, die Du – wie Deine Muskulatur – trainieren kannst, und zwar mit Meditation.

Diese muss nicht zwangsläufig einem bestimmten Schema folgen, vielen fällt das jedoch gerade zu Beginn leichter. Gute Erfahrungen zum Einstieg in das Meditieren haben wir mit Apps wie Calm oder Headspace gemacht. Am Ende des Tages geht es einfach darum, Deinen Fokus auf Deine Atmung zu lenken und abschweifende Gedanken liebevoll zu zügeln, indem Du immer wieder zu Deiner Atmung zurückkehrst.

Meditation_Anfänger_Titelbild

Tief ein- und ausatmen…

 

#4 Umgang mit Ablenkung

Darüber hinaus macht es Sinn, Deine Nutzung von sozialen Medien, Netflix & Co. zu überdenken.

Stell Dir gerne kritisch die Frage, wie oft und aus welchem Grund Du am Handy oder Laptop bist. Und wenn Du feststellen solltest, dass Du Dich zulasten wirklich wichtiger Vorhaben ablenken solltest, ändere etwas.

Denn wenn aus Genuss – z. B. durch das Schauen einer Folge Deiner Lieblings-Serie – Sucht und somit eine Flucht wird, darft Du genau hinschauen. Dabei bringen diese zwei Fragen schnell Licht ins Dunkel:

  • Was dient Dir?
  • Was schwächt Dich?

Achte z. B. darauf, dass Du die erste und letzte Stunde des Tages ohne technische Ablenkung verbringst und nutze ggf. bei der Arbeit Software-Blocker (z. B. freedom) um Anwedungen, die Dich ablenken, temporär zu sperren.

 

#5 Anker nutzen

Wie Du die Technik des Ankerns aktiv nutzen kannst, wird in der NLP (neurolinguistischen Programmierung) gelehrt. Passiv haben wir dies alle schon fleißig angewendet oder warum denkst Du, dass Du an Deinem Geburtstag meistens gute Laune hast oder Du im Falle einer Spinnenphobie gerne mal aus einer Mücke – ich meinte Spinne – einen Elefanten machst?

Wenn uns etwas Außergewöhnliches – im Positiven wie im Negativen passiert – ankern wir diese Emotion häufig mit einem bestimmten Ereignis. Das kann alles sein: ein Datum, ein anderes Lebewesen, eine bestimmte Umgebung, eine Berührung, ein Gegenstand…

Beim Meditieren ist Dein Anker das bewusste Atmen.

Finde heraus, was für Dich persönlich Sinn macht und probiere Dich gerne aus: Du könntest z. B. während der Visualisierung ein bestimmtes Schmuckstück berühren und dieses als Abkürzung zu dem damit verbundenen Gefühl Ankern.

Wu_Wei_Prinzip_Boxer

Man kann Zustände auch haptisch ankern, z. B. mit einem Ring.

Wenn Du gerne mehr darüber erfahren möchtest, schreib gerne in die Kommentare – dann werde ich zu diesem Thema einen separaten Beitrag verfassen.

 

Fazit

Deine innere Stärke zur Grundhaltung machen und aus dieser heraus zu leben. Darum geht es im Wu-Wei-Prinzip. Was zunächst exotisch und in weiter Ferne klingt, wird bei näherer Betrachtung ein elementares Prinzip, mithilfe dessen Du mehr Klarheit und Kraft erlebst.

Denn was sonst mit viel Anstrengung und Mühe verbunden ist, kann in dieser Haltung fließen und Dir die Umsetzung Deiner Vorhaben nicht nur erleichtern, sondern auch eine dauerhafte Gelassenheit schenken.

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Möchtest Du eigene Erfahrungen mit diesem Thema teilen oder hast Du Fragen? Schreib mir gerne in die Kommentare.

 

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8 Kommentare

Silke 30. November 2022 - 18:56

Euren Beitrag zum Wu-Wei-Prinzip finde ich sehr interessant und würde gerne noch mehr darüber erfahren – gerne auch noch andere Körperübungen. Außerdem interessieren mich Themen wie Selbstregulation und Stimmbildung

Antworten
Maxi Auerswald 30. November 2022 - 19:53

Hallo Silke,

vielen Dank, das freut uns sehr. Ja, da gibt es noch tolle Übungen: Zu zweit kann man das Prinzip auch mit dem Versuch, den anderen hochzuheben, sehr gut nachvollziehen. In der Gruppe kann man sogar zeigen, dass es im Wu-Wei möglich ist aufzustehen, obwohl mehrere Personen auf einem liegen.

Das ist schön zu wissen, Stimmbildung begeistert mich selbst sehr und über Selbstregulation werde ich in einer Fortbildung im Dezember noch einiges lernen. Diese Themen werde ich künftig also sehr gerne aufgreifen 🙂

Viele Grüße
Maxi

Antworten
carmen steg 30. November 2022 - 20:07

danke, ich glaube, dass ich mich überwiegend im grundtonus befinde, nicht so sehr in der ambivalenz….aber natürlich kann sie auch immer entstehen freundlich carmen steg

Antworten
Maxi Auerswald 1. Dezember 2022 - 15:46

Hallo Carmen, das ist wunderbar!
Und ja, das “Abrutschen” in Über- oder Unterspannung erfolgt meist unterbewusst und kann durch verschiedenste Faktoren (innerer Dialog, Umfeld, Krankheit) ausgelöst werden.
Viele Grüße
Maxi

Antworten
Trotzdem 30. November 2022 - 21:57

Danke für den Beitrag. Ich hadere mit der praktischen Umsetzung, im Alltag gerät das bei mir leider ins Vergessen. Über die Anker würde ich gerne mehr erfahren!

Antworten
Maxi Auerswald 1. Dezember 2022 - 15:49

Danke für Deine Rückmeldung. Im Alltag hilft mir, auf eine tiefe (Bauch-)Atmung zu achten. Und die Anker können ebenfalls sehr helfen, das greifen wir gerne nochmal ausführlicher auf 🙂
Viele Grüße
Maxi & das SEG-Team

Antworten
Christine Amadi Brauss 1. Dezember 2022 - 17:10

Ich fände es auch wunderbar, mehr über die Ankertechnik zu erfahren, das NLP liegt bei mir schon lange zurück…:)) Und ich denke die Übersetzung Tun durch Nicht-Tun wäre eventuelle noch besser, weil es ja nicht
darum geht nichts zu tun, sondern zu handeln ohne Anhaftung, ohne sich in Emotionen zu verstricken, mühelos und letzten Endes sanft fließend wie das Wasser: Be water, my friend. Liebe Grüße und herzlichen Dank

Antworten
Maxi Auerswald 3. Dezember 2022 - 15:43

Hallo Christine,

vielen Dank für Deine Rückmeldung und den wunderbaren Impuls für die Übersetzung. Das nehme ich gerne auf und ich sehe schon: Einer der nächsten Beiträge wird das Ankern werden – da kamen wirklich einige Rückmeldungen 🙂

Liebe Grüße zurück
Maxi

Antworten

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