Gemeinsam neue Gewohnheiten praktizieren: Fünf Übungen für mehr Achtsamkeit im Alltag

von Martin Auerswald, M.Sc.
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Eine Frau praktiziert Achtsamkeit im Alltag, indem sie durchatmet

Gedanken stehen niemals still. Sie wälzen Probleme, wähnen sich stets im Recht und wirken sich mit unkollegialen und teils reißerischen Kommentaren negativ auf unser Allgemeinbefinden aus. Damit angenehme Stille in unserem Geist einkehrt, können wir Achtsamkeitstechniken einsetzen.

Erhalte hier Tipps für mehr Achtsamkeit im Alltag.

Schau mal, wir haben eine Episode in unserem Podcast, die zu diesem Thema passt – Du kannst sie Dir hier anhören:

Tine Steiss, geprüfte MBSR-Lehrerin, und Veronika Eicher, Redakteurin des deutschen happiness-Magazins beginnen ihre Meetings für die Online-Community happiness.com mit einer fünfminütigen Meditation. Das hilft dem Team, sich auf das Jetzt zu konzentrieren und glücklicher zu sein. In diesem Gastartikel stellen sie fünf Achtsamkeitsübungen vor, die sich gut in den Alltag einbinden lassen.

 

Was ist Achtsamkeit?

Achtsam zu sein, bedeutet, im Hier und Jetzt präsent zu sein. Dem Augenblick die volle Aufmerksamkeit zu schenken. Es heißt auch, dass Deine Gedanken zur Ruhe kommen sowie Dein Stress und Cortisol gesenkt werden. Auf lange Sicht fließt Deine Energie somit nicht in vergangene oder zukünftige Ereignisse. Stattdessen stehen sie Dir im Jetzt zur Verfügung. Das ist neben Dankbarkeit ein wichtiger Schlüssel, um glücklich zu sein.

Im Zusammenhang mit Achtsamkeit und Achtsamkeitsmeditation stehen drei Vorurteile, die Menschen hindern, sich dem Thema zu nähern. Bevor wir mit den Übungen beginnen, möchten wir darüber aufklären, dass Achtsamkeit weder Gleichgültigkeit noch Effizienz gesteuerte Selbstoptimierung bedeutet.

 

Vorurteil 1: Achtsamkeit macht gleichgültig

Wer Achtsamkeitsmeditation übt und dafür beispielsweise einen MBSR-Kurs belegt („Mindfulness-Based Stress Reduction“, auf Deutsch „Stressbewältigung durch Achtsamkeit“), möchte in der Regel ruhiger, ausgeglichener, zufriedener und entspannter durchs Leben gehen.

Daraus wird gerne der Schluss gezogen, dass der Mensch dadurch gleichgültig wird. Oder schlimmer: dass mensch alles widerspruchslos über sich ergehen lässt und zu einem Spielball des Lebens wird.

Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Wer Achtsamkeit übt, wird beispielsweise nicht von der Wut übermannt, aber ist sich der Wut durchaus bewusst!

Wut kann so als Hinweis auf Ungerechtigkeit und dann als Motivation genutzt werden. Daraus folgt eine klarere Kommunikation von Bedürfnissen und Grenzen.

Achtsame Menschen stehen in der Regel eher für sich und andere ein, aber sie tun dies auf eine ruhigere, sachliche Art und sind eher in der Lage, gegenüber sich selbst empathisch und liebevoll zu reagieren (1).

 

Vorurteil 2: Achtsamkeit sorgt für Effizienzsteigerung

Ein weiteres Vorurteil: Durch Achtsamkeit kann ich mich selbst optimieren und (noch) mehr arbeiten.

Auch das stimmt nur bedingt. Achtsamkeit kann uns helfen, konzentrierter zu sein, Signale und Zwischentöne besser wahrzunehmen. Ein Zuviel an Arbeit und anderen Aufgaben wird durch eine regelmäßige Achtsamkeitspraxis nicht weniger. Allerdings hilft sie dabei, diesen Umstand früher zu erkennen, zu kommunizieren und behutsam Kompromisse zu finden, um das Zuviel abzubauen (2).

 

Vorurteil 3: Achtsamkeit löscht alle Gedanken aus

Durch Achtsamkeitsmeditationen lassen sich alle Gedanken stoppen.

Ein irreführendes Vorurteil, denn bei der Achtsamkeitsmeditation geht es nicht darum, einen leeren Geist zu erlangen, sondern unsere Aufmerksamkeit bewusst zu steuern. Unsere Gedanken sind schließlich keine Feinde, die es zu bekämpfen gilt. Sie sind überaus nützlich: Sie helfen uns zu lernen, zu planen und zu verstehen.

Wir lernen lediglich, den Autopilot abzuschalten und die Zügel der Gedanken wieder selbst in die Hand zu nehmen. So können wir unser geistiges Leben nach unseren Wünschen gestalten, statt den Gedanken die Herrschaft über uns, unsere Weltsicht, unser Erleben und unsere Emotionen zu überlassen.

Achtsamkeit hilft uns also dabei, unsere Bedürfnisse zu erkennen und sie klarer zu kommunizieren. Etwas überspitzt formuliert: Wir erlangen die Kontrolle über unser Leben zurück. Denn wir können den Autopilot, der 50 % der Zeit läuft, auf eine Laufzeit von unter 30 % senken. Laut einer aktuellen Studie sind Menschen gerade in diesem Autopilotzustand unglücklich; ungünstig also, dass er die Hälfte der Zeit dominiert (3).

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Achtsamkeitsübungen für den Alltag

Zentrales Element der Achtsamkeit ist es, in den aktuellen Moment zurückzukehren. Unsere Gedanken ziehen uns ständig in die Vergangenheit, um Ereignisse zu rekapitulieren, andererseits schicken sie uns auf eine Reise in die Zukunft: Wir planen jedes Detail, um Probleme zu vermeiden, obwohl uns so viele Variablen unbekannt sind.

Ein gewisses Maß an Überlegtheit kommt uns natürlich zugute, doch es sollte nicht überhandnehmen.

Du möchtest Deine Achtsamkeit im Alltag trainieren und dadurch bewusster leben? Mit diesen 5 Übungen kannst Du sofort starten.

 

1. Bewusst duschen

Wann warst Du das letzte Mal wirklich unter der Dusche?

Also nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit den Gedanken. Diese eilen uns nämlich gern voraus. Im Geist befinden wir uns bereits im Auto und stecken im Stau (obwohl es den vielleicht gar nicht geben wird). Oder wir ärgern uns über eine vermeintliche Aussage eines Kollegen im nächsten Meeting (die er vermutlich nie tätigen wird).

Nimm Dir etwas Zeit und ein paar tiefe Atemzüge. Spüre das warme Wasser auf der Haut, atme die feuchte Luft und den Duft des Shampoos ein. Genieße den Moment der Entspannung.

Tipp von Martin: Um wirklich präsent unter der Dusche zu sein, hilft auch eine kalte Dusche.

 

2. Achtsam essen

Übe Achtsamkeit beim Essen. Rieche und schmecke jeden Bissen. Vielleicht gelingt das, wenn Du in Gedanken bei denen bist, die an der langen Produktionskette beteiligt waren. Den Pflanzen, den Tieren, den Bäuer*innen, den Erntehelfer*innen, den Fahrer*innen, den Mitarbeiter*innen im Supermarkt, den Köch*innen, …

 

3. Kurzes Innehalten sorgt für Achtsamkeit

Achtsamkeit kann bei jeder Handlung geübt werden. Die Erfolgsformel bleibt immer die gleiche: Den Strom der Gedanken zu unterbrechen und bewusst ins Jetzt zurückkehren.

Das kann ein bewusster Atemzug auf dem Weg zur Arbeit sein. Oder Du wanderst mit Deiner Aufmerksamkeit vor dem Einschlafen durch den Körper und entspannst dabei jedes Körperteil. Manchmal genügt eine kleine Pause, ein einziger Atemzug, um bei sich selbst einzuchecken. Wie geht es mir heute? Wo sind meine Gedanken? Wie steht es um mein körperliches Befinden?

Wenn Du magst, verbinde dies mit einer kleinen Meditation.

 

4. Bewusstes Atmen

Bewusst Atmen ist eine einfache Übung. Du kannst sie überall anwenden und niemand wird bemerken, dass Du gerade Achtsamkeit trainierst. Wo auch immer wir sind, in der Bahn, in der Schlange im Supermarkt oder zuhause auf der Couch, überall können wir für einen Augenblick bewusstes Atmen üben.

Und zwar so:

  • Beim Einatmen sammeln wir unsere Gedanken. Wir lenken die Aufmerksamkeit von der Außenwelt, der Vergangenheit oder Zukunft mit dem Atem in uns hinein.
  • Wir sammeln die Aufmerksamkeit für einen Moment im Körper.
  • Beim Ausatmen entspannen wir uns und lassen uns in den jetzigen Moment hineinfallen.

Wir beginnen die Übung mit ein paar bewussten Atemzügen und lassen dann dem Atem seinen gewohnten Lauf. Nun kann der natürliche Rhythmus aus Sammeln und Entspannen folgen. Wer in einer angespannten Situation steckt, kann die Aufmerksamkeit beim Einatmen in die Schultern lenken und diese beim Ausatmen bewusst entspannen. Auf diese Weise kann man nach und nach den gesamten Körper lockern.

 

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5. Amerikanisches Kampfatmen

Wem das alles zu spirituell ist, lässt sich vielleicht vom amerikanischen Militär überzeugen. Dort wird eine schlichte Atemübung als „Kampfatmung“ oder „taktische Atmung“ bezeichnet. Bei uns ist sie unter dem Namen „Box Breathing“ bekannt. Die Atemtechnik wird von Ersthelfern, vom Militär und von Athleten genutzt, um sich zu konzentrieren, innere Ruhe sowie Kontrolle zu erlangen und Stress zu bewältigen.

Darüber hinaus kann sie uns helfen, Sorgen und Nervosität in Schach zu halten.

Führe die folgenden Schritte durch und zähle bei jedem einzelnen gedanklich bis 4:

  1. Nimm einen tiefen, ruhigen Atemzug durch die Nase.
  2. Halte Deinen Atem an.
  3. Lass die Luft langsam durch den Mund entweichen.
  4. Halte noch einmal die Luft an.

 

Was bewirken die Achtsamkeitsübungen?

Durch diese fünf Übungen trainierst Du, Gedanken als solche wahrzunehmen. Das ist nützlich, denn diese verkaufen sich gerne als absolute Wahrheit. Mit der Fähigkeit, Gedanken zu unterbrechen und sie zu hinterfragen, kannst Du so mancher Aufregung entgehen.

Nimmst Du Gedanken bewusst wahr, kannst Du sie loslassen und die Aufmerksamkeit auf das richten, was in diesem Moment präsent ist.

Warum kreisen unsere Gedanken eigentlich so schnell um Probleme? Wir sind von der Evolution darauf getrimmt worden, potenzielle Gefahren ernst zu nehmen. Dieser Mechanismus hat uns das Überleben gesichert, ist aber heute nur noch bedingt nützlich.

Machen wir uns das Gute bewusst, genießen wir es und sind dankbar dafür. Außerdem können wir unsere Probleme in Relation setzen. Dadurch lassen sie sich leichter bewältigen.

Zu Beginn der Achtsamkeitspraxis üben wir, den Moment bewusst wahrzunehmen.

Wir können nun auch die Gedanken, die sich um die Vergangenheit oder Zukunft drehen, als solche erkennen. Letztere lösen oft Angst und Sorge aus. Gleichzeitig beruhen sie auf Vermutungen, die sich nicht bewahrheiten müssen, deshalb nützen sie uns nicht. Im Gegenteil: Sie machen uns im Hier und Jetzt das Leben schwer.

Allerdings lässt sich eine Sorge nicht einfach verdrängen, selbst wenn man sie als solche erkennt. Aber darum geht es uns auch nicht. Wir üben uns vielmehr darin, sie zu erkennen und zu akzeptieren, denn letztlich wollen uns Sorgen vor etwas schützen. Das heißt nicht, dass Du dem Gefühl nachgeben sollst. Umarme es vielmehr als wohlmeinenden Teil von Dir.

Lächelnde Frau mit Smiley-Luftballon und Riesenrad im Hintergrund

Bleibe bewusst im Hier und Jetzt – es wird Dich auf Dauer glücklicher machen

Mit den Achtsamkeitsübungen lernen wir zu unterscheiden, was in diesem Moment wahr ist und einer Handlung bedarf.

Ein Beispiel: Stell Dir vor, Du ärgerst Dich über eine Äußerung. Hitze steigt in Deinem Körper auf und Deine Schultern verkrampfen sich. In unseren Gedanken bauscht sich die Geschichte auf. Vieles davon stimmt aber gar nicht und beruht auf Spekulationen, die sich im Moment des Ärgers allerdings sehr wahr anfühlen.

Mit Achtsamkeit können wir uns auf die Fakten besinnen. Statt der Wut blind zu folgen und unser Gegenüber anzuschreien, können wir ruhig mitteilen, was genau wir als ungerecht empfinden und wo wir uns übergangen gefühlt haben. Auf diese sachliche Art ermöglichen wir es uns, die Angelegenheit friedlich zu klären.

 

Achtsamkeit im Alltag – unser Fazit

Achtsamkeit ist kein theoretisches Feld. Es lässt sich mit einem Besuch im Fitnesstudio vergleichen. Wenn wir ins Studio gehen und uns erklären lassen, wie die Geräte funktionieren, sie aber nicht benutzen, werden wir keine Muskeln aufbauen. Genauso verhält es sich mit Achtsamkeit. Nur, wenn Du regelmäßig trainierst, wirst Du die Gehirnareale stärken, die rational denken. Nur dann wirst Du das Positive sehen sowie mehr Zufriedenheit und Glück empfinden.

Neue Gewohnheiten sind einfacher zu erlernen, wenn man Erfahrungen teilt und sich gegenseitig inspiriert. Die Online-Community happiness.com, die von den Autorinnen Tine Steiss und Veronika Eicher mitbetreut wird, möchte ihren Mitgliedern eine sichere und sich gegenseitig unterstützende Gemeinschaft bieten. Im happiness Forum, in den Kursen der happiness Akademie und im Magazin werden dafür Werkzeuge, Praktiken und Erfahrungen ausgetauscht. Das Ziel des Projektes: Es allen Menschen ermöglichen, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen.

 

 


  1. https://www.researchgate.net/publication/281643912_Meditation_and_happiness_Mindfulness_and_self-compassion_may_mediate_the_meditation-happiness_relationship
  2. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6662861/
  3. https://www.psychologytoday.com/us/blog/your-brain-work/201011/new-study-shows-humans-are-autopilot-nearly-half-the-time

 

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