Die Behandlung von Schilddrüsenunterfunktionen erfolgt in der konventionellen Medizin fast ausschließlich mit L-Thyroxin. Doch viele Patienten berichten, dass sie trotz scheinbar optimaler Laborwerte weiterhin Symptome haben. Auch Studien sind hier weniger überzeugend. Warum ist das so? Dieser Fachbeitrag beleuchtet die Grenzen der L-Thyroxin-Therapie und zeigt alternative Wege auf.
Grundlagen der Schilddrüsenhormone
Die Schilddrüse spielt eine essenzielle Rolle im Energiestoffwechsel. Sie reagiert auf das in der Hypophyse gebildete TSH und produziert unter anderem die Hormone T4 (Thyroxin) und T3 (Trijodthyronin) - insgesamt sind es über 20 verschiedene Hormone. Auch die gerade intensiv erforschten T2 und T1, die wahrscheinlich noch potenter sind als T4 oder T3.
Die Bildung von fT4 in der Schilddrüse geschieht über das Enzym Thyreoperoxidase, welches aus der Aminosäure Tyrosin (im Schilddrüsenprotein Thyreoglobulin gespeichert) mit vier Jod-Atomen verheiratet. Dazu benötigt sie Eisen, und es entsteht in geringer Menge Wasserstoffperoxid.
Während T4 als inaktive Speicherform gilt, ist T3 die aktive Form, die direkt in den Zellen wirkt. Viele Faktoren beeinflussen die Umwandlung von T4 in T3, darunter Nährstoffmängel, Stress und Entzündungen.
Am meisten fT3 (freies Tri-Iod-Thyronin) wird übrigens in den Zielzellen selbst produziert. Sie holen sich das fT4 aus dem Blut und deiodieren es mittels Selen-abhängigen Enzymen in das aktive fT3.
Ein wenig fT3 bildet die Schilddrüse selbst auch, doch ihre Hauptaufgabe ist die Bildung von fT4.
L-Thyroxin: Das Standardmedikament in der konventionellen Medizin
L-Thyroxin ist das weltweit am häufigsten verschriebene Medikament zur Behandlung von Hypothyreose.
Es entspricht der synthetischen Variante des körpereigenen T4 - Thyroxin oder Tetraiodthyronin.
L-Thyroxin wurde erstmals 1914 von Edward Calvin Kendall aus getrockneten Schilddrüsenextrakten isoliert und später synthetisiert. Die industrielle Produktion von L-Thyroxin erfolgt durch eine mehrstufige organische Synthese, das Endprodukt ist Levothyroxin-Natrium, die bioverfügbare Form, die in Tabletten oder Tropfen für die orale Einnahme verwendet wird.
Je nach Symptomatik ist eine "Einstellung" des Patienten auf 25-200 µg L-Thyroxin gängig. Weitere Medikationen bei Hypothyreose umfassen auch Mischungen aus fT4 und fT3 oder die Kombination aus T4 und Jod.
Wie wirkt L-Thyroxin?
L-Thyroxin hebt den T4-Spiegel an und kann den TSH-Wert reduzieren, doch die individuelle Symptomatik der Patienten bleibt oft bestehen.
Viele Patienten berichten von anhaltender Müdigkeit, Gewichtszunahme oder Konzentrationsproblemen.
Laut einer Analyse der BARMER-Krankenkasse aus dem Jahr 2020 war L-Thyroxin der vierthäufigst eingesetzte Arzneimittelwirkstoff bei ihren Versicherten, mit einem Anteil von rund 11,2 % der mehr als 9 Millionen Versicherten. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung Deutschlands deutet dies darauf hin, dass mehrere Millionen Menschen L-Thyroxin einnehmen.
Kritische Analyse der Wirksamkeit von L-Thyroxin
Warum ist L-Thyroxin oft wirkungslos?
Nicht TSH oder fT4 entscheiden über Energie und Wohlbefindern, sondern fT3 (und wahrscheinlich auch T2 und T1).
Die Umwandlung von T4 in das aktive T3 ist ein komplexer Prozess, der durch verschiedene Faktoren beeinflusst wird:
- Leberfunktion: Ein Großteil der Umwandlung geschieht in der Leber. Ist diese überlastet, wird weniger T3 gebildet.
- Entzündungen und Stress: Chronischer Stress (Cortisol) und stille Entzündungen hemmen die Umwandlung und begünstigen stattdessen die Bildung des inaktiven rT3.
- Mikronährstoffmangel: Selen, Zink, Eisen und Vitamin D sind essenziell für eine optimale Umwandlung. Diese Nährstoffdefizite sind leider verbreiteter, als die meisten Menschen denken.
Studie: L-Thyroxin bei Schilddrüsenunterfunktion meist wirkungslos
Eine große Metaanalyse mit über 2100 Patienten und über 20 Studien zeigte, dass nur etwa 20 % der Patienten eine signifikante Besserung unter L-Thyroxin erfuhren. Gleichzeitig zeigen die Studien, dass die alleinige TSH-Normalisierung nicht automatisch mit Symptomfreiheit korreliert.
Die Analyse von über 21 randomisierten kontrollierten Studien ergab, dass L-Thyroxin keine relevanten Verbesserungen bei Müdigkeit, Depressionen oder Lebensqualität bringt. Zudem gibt es kaum Daten zur langfristigen Sicherheit oder möglichen Nebenwirkungen.
Zitat: "For adults with SCH [sub-clinical hypothyroidism], thyroid hormones consistently demonstrate no clinically relevant benefits for quality of life or thyroid related symptoms, including depressive symptoms, fatigue, and body mass index (moderate to high quality evidence)."
Akute vs. längerfristige Behandlung mit L-Thyroxin
Wir müssen hier unterscheiden zwischen einer Akut- und einer längerfristigen Therapie. Im Akutfall bei einer entzündeten Schilddrüse oder einem aktiven Hashimoto-Schub kann es hilfreich sein, mit L-Thyroxin-Gabe die Schilddrüse zu entlasten.
Muss sie weniger arbeiten (weniger T4 bilden), lässt auch die Entzündung nach. Jedoch ist es wichtig, auch Entzündungslinderung in die Therapie einzubauen und die Gründe für die Entzündung zu ergründen - hier ist ein integrativer Ansatz nötig.
Bei längerfristiger Therapie mit L-Thyroxin kann es jedoch sein, dass die Wirkung begrenzt ist.
Der Mensch ist keine Maschine
Wir sehen: Es wird zwar medikamentös T4 gegeben, aber für die eigentliche Wirkung, die "Energie" ist fT3 verantwortlich. Ist diese Umwandlung gestört, kann es sein, dass das L-Thyroxin zwar den TSH-Wert reduziert, aber fT3 und das Wohlbefinden des Patienten unverändert bleiben.
Für die konventionelle Medizin ist meist nur die Einstellung von TSH der Indikator für Erfolg oder Misserfolg für die Therapie. Wie es dem Menschen dahinter eigentlich geht, wie sich der fT3-Wert verändert, ist häufig egal.
Die Einstellung von Schilddrüsen-Patienten gleicht der Einstellung einer Maschine - es wird auf Werte geachtet, Wohlbefinden ist sekundär.
Die Geschichte der Schilddrüsen-Therapie
Ein Blick in die Geschichte zeigt uns: die moderne Schilddrüsen-Therapie mit L-Thyroxin und TSH-Einstellung wurde in den 50er-Jahren entwickelt und setzte sich in den 70er-Jahren endgültig gegenüber der Gabe von Schilddrüsen-Extrakten aus Tieren durch.
Hier ein kurzer Überblick über die wichtigsten Meilensteine:
- Ende des 19. Jahrhunderts: Erste erfolgreiche Behandlungen von Schilddrüsenunterfunktionen mit tierischen Schilddrüsenextrakten (getrocknete Schweine- oder Rinderschilddrüsen), die sowohl T4 als auch T3 enthielten.
- 1914: Edward Calvin Kendall isolierte das Hormon Thyroxin (T4) erstmals aus Schilddrüsenextrakten.
- 1927: Harrington und Barger beschrieben die chemische Struktur von Thyroxin (T4), was die Grundlage für die spätere synthetische Herstellung legte.
- 1950er-Jahre: Die ersten synthetischen Levothyroxin-Präparate (L-Thyroxin) wurden entwickelt und kamen in den USA und Europa auf den Markt. Diese boten eine standardisierte und stabilere Alternative zu tierischen Extrakten.
- 1970er- und 1980er-Jahre: L-Thyroxin wurde zur Standardtherapie für Hypothyreose und ersetzte weitgehend tierische Schilddrüsenextrakte.
Seitdem ist L-Thyroxin weltweit das am häufigsten eingesetzte Medikament zur Behandlung von Schilddrüsenunterfunktionen.
Doch die Frage ist: Warum hat es sich gegenüber der Gabe von Schilddrüsen-Extrakt durchgesetzt, und ist es wirklich effektiver?
L-Thyroxin vs. Schilddrüsenextrakt
Die Therapie mit synthetischem L-Thyroxin (T4) hat sich gegenüber natürlichen Schilddrüsen-Extrakten (NDT – Natural Desiccated Thyroid) aus mehreren Gründen durchgesetzt:
Standardisierte Dosierung:
- L-Thyroxin ermöglicht eine exakte Dosierung, während natürliche Schilddrüsenextrakte je nach Tierart, Charge und Verarbeitung unterschiedliche Hormonmengen enthalten können.
- In den 1950er-1970er Jahren wurde eine präzisere Hormonersatztherapie gefordert, was zur Bevorzugung von L-Thyroxin führte.
Bessere wissenschaftliche Kontrolle:
- Die chemische Struktur von L-Thyroxin wurde genau erforscht, und seine Wirkung ist gut dokumentiert.
- Natürliche Extrakte enthalten neben T4 auch T3, T2, T1 und Calcitonin, deren genaue Wirkmechanismen und Dosierungen lange Zeit nicht standardisiert erfasst wurden.
Stabilität und Lagerung:
- L-Thyroxin in Tablettenform ist stabiler, während tierische Extrakte empfindlicher auf Lagerbedingungen reagieren.
Pharmazeutische und regulatorische Vorteile:
- Synthetisches L-Thyroxin wurde von Pharmaunternehmen intensiv vermarktet und als „moderner“ beworben.
- Viele offizielle Behandlungsrichtlinien (z. B. Leitlinien der Endokrinologie) empfehlen L-Thyroxin als Standardtherapie.
Welche Therapie ist effektiver?
Die Frage nach der besseren Therapie ist umstritten und individuell abhängig:
L-Thyroxin (T4-Monotherapie)
Vorteile:
- Standardisierte, präzise Dosierung
- Gute wissenschaftliche Datenlage
- Stabil und einfach in der Handhabung
Nachteile:
- Der Körper muss T4 erst in das aktive T3 umwandeln – bei vielen Patienten ist dieser Prozess gestört.
- Symptome wie Müdigkeit, Gewichtszunahme und Konzentrationsprobleme bleiben oft bestehen, obwohl die Laborwerte „normal“ sind.
Natürliche Schilddrüsenextrakte (NDT)
Vorteile:
- Enthalten T4 und T3 in natürlichem Verhältnis → kann effektiver sein für Patienten, die Probleme mit der T4-zu-T3-Umwandlung haben.
- Viele Patienten berichten über eine bessere Symptomlinderung und mehr Energie.
Nachteile:
- Dosierung ist schwerer zu standardisieren.
- Weniger wissenschaftliche Studien als für L-Thyroxin.
- Nicht in allen Ländern leicht verfügbar (in Deutschland oft nur über Apotheken als Rezeptur erhältlich).
Fazit
Dass sich L-Thyroxin durchgesetzt hat, hat mehr praktische und wirtschaftliche Gründe - weniger therapeutische. Und das ist bedenklich, denn therapeutische Vorteile sollten in der Therapie am wichtigsten sein.
Für viele Patienten reicht L-Thyroxin aus, wenn die Umwandlung von T4 in T3 gut funktioniert. Das ist aber nur in wenigen Fällen wirklich der Fall.
Patienten, die trotz L-Thyroxin weiterhin Symptome haben, könnten von einer Kombinationstherapie (T4+T3) oder natürlichen Schilddrüsenextrakten profitieren.
Eine individuelle Anpassung ist entscheidend – die beste Therapie ist diejenige, die dem Patienten die meiste Lebensqualität zurückgibt.
Wir dürfen zudem nicht vergessen: Weder die T4- noch die Schilddrüsenextrakt-Therapie können die Ursachen für die Schilddrüsenunterfunktion beseitigen.
Ob nun eine Medikation gegeben wird oder nicht: wer die Ursachen nicht angeht, löst das Problem nicht und betreibt Symptom-Kaschierung. Ziel sollte sein, dass die Schilddrüse wieder normal arbeiten kann - ohne Thyroxin oder Schilddrüsenextrakt, sofern möglich (und noch genug Schilddrüsengewebe übrig ist).
Mit Blick auf die Praxis ist es - sofern die Schilddrüse nicht mehr ausreichend arbeitet - eine Überlegung, von L-Thyroxin auf Schilddrüsenextrakt zu wechseln. Dies aber bitte nur in Absprache mit dem behandelnden Arzt.
Alternative Betrachtungsweise: Behandlung nach biologischen Bedürfnissen
Da nicht der Laborwert, sondern das Wohlbefinden des Patienten im Fokus stehen sollte, sind individuell angepasste Therapien notwendig. Hier ist immer die Frage entscheidend, warum die Schilddrüse in einer Unterfunktion ist, und wie dies zu lösen ist:
- fT3 als entscheidender Marker: Eine T3-basierte Therapie, z. B. durch Kombination von T4 und T3 oder den Einsatz natürlicher Schilddrüsenextrakte, kann effektiver sein.
- Nährstofftherapie: Optimierung von Mikronährstoffen wie Selen, Zink, Eisen, Vitamin D und Jod für eine verbesserte Hormonkonversion.
- Adaptogene wie Cordyceps, Reishi, Ashwagandha oder Rosenwurz können die Bildung von T4 und die Umwandlung in T3 (genauso wie die Umwandlung in das inaktive rT3) verbessern.
- Lebensstilintervention: Reduktion von Stress, Verbesserung der Darmgesundheit und Optimierung des Schlafs spielen eine zentrale Rolle.
- Emotionale Gründe: Die Schilddrüse ist ein sehr sensibles Organ, das auch auf Stressoren empfindlich reagiert. Dies hat biologische Gründe. Bei emotionalem Stress, Trauma oder fehlender Erfüllung im Leben kann die Schilddrüse auch in eine Unterfunktion gehen - hier ist eine ganzheitliche Sicht erforderlich, um die Ursachen anzugehen.
Persönliches Fazit
Die Standardtherapie mit L-Thyroxin reicht für viele Patienten nicht aus. Das zeigen Studien und die Erfahrung.
Statt nur Laborwerte zu korrigieren, sollte eine personalisierte Behandlung mit Fokus auf fT3, Zellenergie und individuelle Stoffwechselprozesse erfolgen. Ein ganzheitlicher Ansatz kann langfristig zu mehr Wohlbefinden und Lebensqualität führen.