Du hast ein Kind mit einer Entwicklungsstörung? – Lies hier was wirklich hilft

von Martin Auerswald, M.Sc.
Veröffentlicht: Zuletzt bearbeitet:
Kind_Entwicklungsstoerung_Titelbild

Heute erhältst Du von unserer Gastautorin Carmen wertvolle Einblicke in das Leben mit Kindern, die aufgrund einer Entwicklungsstörung besondere Bedürfnisse haben. Carmen ist Mentor und Elterncoach mit der Spezialisierung auf Eltern mit neurodiversen Kindern. Sie ist zudem Yogalehrerin und Mutter von 2 wundervollen Kindern – eines davon mit einer Autismus- und ADHS-Diagnose.

Carmen hatte selbst eine 18 Jahre lange Karriere in verschiedenen Führungsfunktionen in der Versicherungsbranche. Sie kennt daher nicht nur die Herausforderungen, die mit einer anspruchsvollen Karriere und einer Familie einhergehen, sondern auch die Zusatzbelastung von einem Kind, welches eine Entwicklungsstörung mit sich bringt.

Ihr Familien- und Arbeitsleben wurde so sehr von Stress bestimmt, dass sie es sich zur Mission machte, nicht nur ihrem Kind zu mehr Entwicklung zu verhelfen, sondern auch wieder mehr Ruhe und Innere Gelassenheit als Mama zu finden.

Carmen glaubt heute fest daran, wenn Eltern die richtigen Informationen, Werkzeuge und Unterstützung erhalten, dass wir alle, Schritt für Schritt einen Weg zurück in unsere Innere Mitte und zur Liebe finden. Dort wo Familien- und Arbeitsleben wieder stressfrei(er) werden und damit gesunde Entwicklung für unsere Kinder stattfinden kann.

Wir bedanken uns an dieser Stelle ganz herzlich für ihren inspirierenden Beitrag und überlassen das Wort jetzt Carmen.

Du kannst Dir übrigens die dazu passende Episode aus unserem Podcast hier anhören:

 

Meine persönliche Achterbahnfahrt & eine weitreichende Entscheidung

Als mein Sohn 8 Jahre alt war, bekamen wir die Diagnose frühkindlicher Autismus mit ADHS. Zu diesem Zeitpunkt war unser Familienleben nicht existent, mein Kind war aus der Schule geflogen und zu Hause herrschte Aggression pur von allen Seiten. Nichts lief je so wie ich es mir als Mama von 2 Kindern in meinen Träumen ausgemalt hatte.

Die Verzweiflung war so groß und die Prognose der Ärzte war düster, so dass ich mich entschloss, meinem Kind Ritalin zu geben. Etwas was ich bis dahin kategorisch ausgeschlossen hatte, denn all die Jahre davor wurde uns «nur» eine Entwicklungsstörung attestiert und die gängigen Standardtherapien wie Logopädie und Heilpädagogik sowie Ergotherapie hatten bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Wirkung gezeigt.

Aber Ritalin machte unser Kind zum Zombie – er spielte nicht mehr, er sprach nicht mehr, er aß nicht mehr, und trank nur wenig und am Abend hatte ich ein Kind, das solche Ausraster hatte, dass ich wieder nicht wusste, was ich tun sollte.

Kind_Entwicklungsstoerung_Ausraster

Sind Ausraster eher die Ausnahme oder die Regel?

Ich wünschte mir eine «Supernanny», die mir endlich zeigen konnte, wie ich mein Kind lesen und verstehen und dann auch mit ihm umgehen sollte, aber diese Supernanny schien es nicht zu geben.

Nachdem die Ärzte mir aber nur ein nächstes Medikament auf Ihrer Liste anbieten konnten, habe ich dieses Medikamentenexperiment nach ca. 3 Monaten abgebrochen. Kurz darauf bekam mein Sohn Angstattacken, mit denen ich wieder allein war, nachdem mir aber auch der Kinderpsychiater nur Medikamente als Hilfe geben konnte, lehnte ich dankend ab.

Das war der Zeitpunkt, an dem ich mir schwor, mir selbst zu helfen. Koste es, was es wolle.

Heute, das kann ich dir schon mal verraten, bin ich diese Supernanny geworden, die Aggressionen zu Hause sind nur noch selten da und wir haben wieder ein ruhiges Familienleben und damit kann auch wieder Entwicklung bei meinem Kind stattfinden – endlich.

Wie groß das Problem ist und was es braucht, um es zu lösen, liest du heute hier.

 

Steigende Zahlen neurologischer Entwicklungsstörungen – das Problem wird größer

Seit den 70er Jahren nehmen die diagnostizierten Fälle von Kindern mit Autismus und AD(H)S stetig zu. In den letzten 10 Jahren sogar sehr deutlich. ADHS ist bei weitem die häufigste diagnostizierte Entwicklungsstörung im Kindesalter in Europa. Die Frage, warum diese Diagnosen immer mehr zunehmen, lässt sich aber nach wie vor nicht genau wissenschaftlich erklären.

Darüber hinaus ist unser gesellschaftliches Stresslevel auf einem Allzeithoch – unsere heutige Leistungsgesellschaft sowie die letzten 3 Jahre der Covid Pandemie haben die Aussicht auf sinkende Diagnosezahlen nicht verbessert. Die Toleranz gegenüber verhaltensauffälligen Kindern ist eher gering und die Angst und der psychische Druck, zusätzlich zur oft fehlenden Unterstützung für die Eltern, lastet schwer auf diesen Eltern und den Kindern.

 

Diagnose und typische Symptome

Die Symptome vor allem bei Autismus sind dabei breit gefächert, deshalb spricht man auch von einem Autismus-Spektrum. Denn «den einen Autisten» gibt es nicht. Jeder ist anders. Aber oft sind ähnliche Symptome ersichtlich und genau danach wird auch in der westlichen Medizin diagnostiziert.

Zum einen wird nach Sprachentwicklungsstörungen gesucht und zum anderen nach Verhaltensauffälligkeiten (Impulskontrolle, Frustrationstoleranz, repetitive Verhaltensmuster, Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit und Konzentrationsschwierigkeiten sowie andere soziale Einschränkungen oder Auffälligkeiten).

Die Grenze was verhaltensauffällig ist und was nicht, ist aus wissenschaftlicher Sicht aber rein willkürlich.

Was bei den heutigen Diagnoseverfahren weitestgehend unbeachtet bleibt, sind die vielfältigen körperlichen Symptome die vor allem bei Autisten, aber auch bei anderen Entwicklungsstörungen einher gehen können. Wie zum Beispiel:

  • Durchfall oder Verstopfung oder andere Verdauungsprobleme
  • Gehäufte Infektanfälligkeit
  • Sensorische Auffälligkeiten
  • Bettnässen
  • Schlechter Schlaf (schwer einschlafen oder nicht durchschlafen)
  • Mundatmung, Schlafapnoe
  • Schlechte Körperspannung
  • Mühe mit Grob- oder Feinmotorik
Kind_Entwicklungsstoerung_Infektanfaelligkeit

Häufige Infekte – ein mögliches Indiz…

 

Behebung der Symptome oder der Ursache

Die westliche Medizin fokussiert sich auf die Behebung der Symptome im Bereich der Verhaltensauffälligkeiten. In den meisten Fällen werden Verhaltensauffälligkeiten daher entweder medikamentös oder mit einer Verhaltens- oder/Lerntherapie behandelt. Daran ist aber folgendes problematisch:

  • Die Behebung der Symptome löst selten die eigentliche Ursache
  • Die medikamentöse Behandlung bietet auf kurze Sicht zwar oft eine Erleichterung für Eltern und Kinder selbst (sofern die Medikamente überhaupt wirken), auf Dauer führen sie aber zu weitreichenden Nebenwirkungen, die neue körperliche Symptome hervorrufen (die dann wieder mit anderweitigen Medikamenten behandelt werden)
  • Erwachsene Autisten die Verhaltenstherapien (wie z.b. ABA) im Kindesalter durchlaufen haben, erzählen oft von einem für sie traumatischen Erlebnis
  • Lerntherapien bedeuten für Kinder meist zusätzlichen Stress

Echte Entwicklung dieser Kinder ist somit nur sehr schwer möglich und die Prognose der westlichen Medizin, dass diese Entwicklungsstörungen nicht heilbar sind, bestätigt sich fast immer.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass diese Entwicklungsstörungen natürlich eine immense Belastung sind, für die Kinder selbst, aber auch allen voran für die Eltern. Denn diese Kinder passen in keine unserer momentanen gesellschaftlichen Normen, noch in den gängigen Schul- oder Arbeitsalltag. Das tägliche Leben wird daher meist zum Albtraum.

Alle Beteiligten stecken nicht nur in Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit über die Diagnose fest, sondern sind auch noch absolut hilflos wie das Leben dieser Kinder, aber auch das der Familie nun jemals wieder «normal» werden soll. Das unglücklichste an dem ganzen ist, dass die wichtigsten Ressourcen für diese Kinder, nämlich die Eltern, allzu oft im Stich gelassen werden.

 

Welche Alternativen habe ich als Eltern

Wenn es dir so wie mir geht, dann stecken die meisten von uns jahrelang in Warteschleifen auf Diagnoseplätze, Plätzen in Standardtherapien oder in Medikamentengabe fest. Jahre, in denen den Eltern keine echte Hilfe zur Selbsthilfe angeboten wird und sie in der eigenen Überforderung allein gelassen werden und das sehe ich heute als das größte Problem schlechthin.

Denn nach einer Zeit in dieser physischen und psychischen Überforderung, streikt irgendwann auch die körperliche und mentale Gesundheit der Eltern. Statistiken belegen, dass Eltern neurodiverser Kinder um ein Vielfaches mehr von Burnout betroffen sind als andere Eltern. Für mich keine Überraschung.

Kind_Entwicklungsstoerung_Ueberforderung

Überforderung, die Spuren hinterlässt…

Wer seinem Kind in seiner Entwicklung helfen will, sollte daher

  1. Sich priorisieren und gut auf sich selbst schauen. Eltern, die am Anschlag laufen, haben es schwer, die ruhige und einfühlsame Ressource für Ihre Kinder zu sein, die es aber so dringend braucht. Ich war jahrelang so gestresst, dass ich unter einem unreguliertem Nervensystemzustand gelitten habe. Herumschreien und Wutausbrüche von mir und meinem Kind, waren an der Tagesordnung. So konnte mein Kind aber auch nie lernen sich selbst zu regulieren, denn ich konnte es ja auch nicht.
  2. Natürlich hilft es auch, wenn Eltern befähigt sind, an den Ursachen zu arbeiten und zugegeben diese immer zu finden ist nicht ganz einfach. Ganz vereinfacht gesagt, heißt das, Stress aus dem System zu nehmen. Dass benötigt aber meist eine starke Veränderung im Lebensstil der Familie und dass wiederum braucht Bereitschaft für Veränderung, aber auch Eltern, die das Wissen und die Tatkraft haben, diese Veränderung für sich und Ihre Kinder auch umzusetzen.

 

Der holistische Ansatz – in 5 Schritten zu mehr Entwicklung & Lebensqualität

Ich fing an nachhaltige Lösungen für unser Problem zu suchen und mich nicht mehr länger mit Symptombekämpfung zu behelfen.

Das hieß für mich, Stressquellen zu erkennen und zu eliminieren. Auf allen Ebenen – körperlichen und chemischen Stress, geistigen und emotionalen Stress und auch seelischen Stress. Seither geht es unserer Familie so gut wie schon lange nicht mehr, es kehrt endlich wieder Ruhe ein, die Symptome meines Sohnes werden besser und meine Überforderung ist einem tiefen Vertrauen und Wissen gewichen.

Heute befähige ich Eltern, die auch an den Ursachen statt den Symptomen arbeiten wollen, das Gleiche zu tun. Wie kann ich das als betroffener Elternteil am besten tun? Indem Du folgenden 5 Schritten folgst:

Schritt 1: Reguliere zuerst deinen eigenen Nervensystemzustand. Solange du nicht in der Lage bist, dich selbst zu regulieren (zum Beispiel herumzuschreien) kann sich dein Kind nicht an und mit dir regulieren. Du hast Vorbildfunktion und musst in Vorleistung gehen. Baue deinen eigenen Stress ab, das ist für Eltern von neurodiversen Kindern mehr als nur eine hohle Phrase.

Schritt 2: Lerne, Dein Kind besser zu verstehen und es zu lesen. So kannst Du Bedürfnisse befriedigen und hast damit automatisch weniger Ausraster und mehr Zufriedenheit.

Schritt 3: Erarbeite Dir neue Elternfähigkeiten. Die meisten Eltern versuchen ihr Kind so zu erziehen, wie sie selbst erzogen worden sind oder versuchen es (gezwungenermaßen) in unser gesellschaftliches System zu pressen. Beides bedeutet großen Druck auf die Eltern-Kind-Beziehung und resultiert meist in Formen der Bestrafung für das Kind (Time out, Verbote, Androhungen etc.).

Für Kinder im Allgemeinen bedeutet dies Stress, da neurodiverse Kinder aber noch weniger stressresilient sind als andere, ist dies immer der falsche Weg. Wer es schafft, Druck aus der Beziehung zu nehmen, wird sehen, wie sein Kind wieder anfängt zu kooperieren.

NVC Banner Startseite

Kind_Entwicklungsstoerung_Balance Weniger Druck hilft, um wieder in Balance zu kommen 🙂

Schritt 4: Reduziere körperlichen Stress dieser Kinder, wie z.B.

  • Ernährung – Die meisten westlichen Mediziner erwähnen das nicht. Aber die Ernährung Deines Kindes ist eine wichtige Grundlage bei der Verbesserung der Symptome. Wie Hippokrates schon sagte: «Alle Krankheiten beginnen im Darm.» Auch A. Viloldo sagt: «Hirngesundheit beginnt im Darm!» In klinischen Studien wurde bei über 80% dieser Kinder eine Fehlbesiedlung des Darmmikrobioms festgestellt. Eine Ernährungsumstellung zu einer antientzündlichen Ernährung und Sanierung des Darms ist daher für fast alle Kinder unumgänglich.
  • Blutzuckerspiegel stabil halten: Die meisten dieser Kinder essen mit Vorliebe Süßes und Kohlenhydrate. Was aus mehrerlei Hinsicht ungünstig ist. Achte darauf den Zuckerkonsum möglichst ganz zu reduzieren und auf regelmäßige Mahlzeiten.
  • Probleme bei der Verdauung, im Stoffwechsel oder durch genetische Veranlagung führen meist auch zu einem Mikronährstoffproblem. Sinnvolle Nahrungsmittelergänzungen sind auf jeden Fall Vitamin D und Omega 3. Alles weitere sollte durch vorgängige Tests abgeklärt werden.

Schritt 5: Das I-Tüpfelchen – Seelischen Stress reduzieren:

  • Es ist für jeden von uns hart, wenn wir nicht so angenommen und akzeptiert werden, wie wir sind. Für unsere Kinder, die verhaltenstechnisch in vielen Situationen aus dem Rahmen fallen, ist dies unglaublich anstrengend und schwächt den Selbstwert. Fange an, das Gute an deinem Kind wahrzunehmen.
  • Eltern, die die Prognose bekommen, dass es keine Hoffnung auf Besserung bei den Symptomen ihres Kindes gibt, geben nach einer Zeit sich selbst und ihr Kind auf. Mein bester Tipp an dieser Stelle: Vertraue von mir aus der Diagnose, aber nicht der Prognose. Glaube an Dich und Dein Kind!

Das größte Geschenk, dass Du Deinem Kind und gleichzeitig Dir selbst machen kannst, ist Dich zur ersten Priorität in Deinem Leben zu machen und Dich in Deiner Kapazität «im Hier und Jetzt» zu sein oder in Achtsamkeit zu trainieren.

 

Präsent & achtsam bleiben – wie kann das gelingen?

Lass mich mit einer Geschichte von Thich Nhat Hanh erklären, was ich damit meine:

«So sagt der Zen-Meister Thich Nhat Hanh, dass, wenn die überfüllten vietnamesischen Flüchtlingsboote auf Stürme oder Piraten trafen, wenn dann alle an Bord in Panik gerieten, alle verloren sein würden. Aber wenn auch nur eine Person auf dem Boot ruhig und zentriert blieb, war es genug. Diese Person zeigte allen den Weg zum Überleben.“

Und so wirst auch Du mit Deiner eigenen stetigen Präsenz zu der Person auf „dem Familien-Boot“, die den Weg für Dich selbst und für Dein Kind beruhigt und stabilisiert.

Das nennt sich im Fachjargon auch Co-Regulation. Oder anders ausgedrückt, verhilft dir Dein neurodiverses Kind nicht nur dabei, echte und wahrhaftige Führungsqualitäten zu erlangen, sondern auch ein erfüllt(er)es Leben zu leben! Cool oder?!

Kind_Entwicklungsstoerung_Stuermische See

Werde der Leuchtturm, den Du Dir wünschst!

 

Fazit

Mein heutiger Beitrag soll dir Mut machen und eine Einladung sein, dich auf den Weg zu Hilfe durch Selbsthilfe zu machen. Du möchtest tiefer in das heutige Thema eintauchen?

Dann findest Du jede Menge Ressourcen zum Thema Neurodiversität, Stressmanagement, Elterntipps und Persönlichkeitsentwicklung auf meiner Webseite und meinem Blog www.carmen-stoffel.com.

Wenn du dir ohne großen Aufwand etwas Sinnvolles und Gutes tun möchtest, dann melde dich für den Blog-Newsletter und die 7-tägige «Sei gut zu Dir Challenge» an, dort gebe ich dir ganz viele Werkzeuge zum Stressabbau an die Hand!

Vielleicht hast du dich ja in diesem Artikel wiedererkannt oder hast Lust bekommen auch etwas Fundamentales für dich und dein Kind zu verändern. Oder zumindest Hoffnung gefasst, dass da vielleicht doch mehr möglich ist! Ich freue mich auf jeden Fall über dein Feedback, Anregungen oder Kommentare unter coaching@carmen-stoffel.com

Alles Liebe,

Carmen

 

Ähnliche Beiträge

Hinterlasse einen Kommentar ¹

¹ Durch Benutzung dieser Kommentarfunktion stimmst Du unseren Kommentar-Bedingungen zu.
² Durch Benutzung dieser Kommentarfunktion stimmst Du der Speicherung einiger Deiner Daten zu. Wir behandeln sie selbstverständlich vertraulich.