Gentechnik. Vor kaum einem anderen Wort haben Deutsche so viel Angst wie vor diesem. Gentechnik Nein Danke!? Meistens kommen in der Öffentlichkeit über Gentechnik die Menschen zu Wort, die am wenigsten davon verstehen. Es wird viel Halbwissen und Unsinn über Gentechnik verbreitet und Panik geschürt.
Als jemand, der jeden Tag mit Gentechnik und Gentechnik-Erzeugnissen arbeitet, um diese Welt ein wenig besser zu machen: Lass mich Dir erklären, was es mit Gentechnik wirklich auf sich hat und warum sie jeden Tag viele tausende Leben rettet.
Inhaltsverzeichnis
Was ist eigentlich Gentechnik?
Gentechnik bedeutet, gezielt in das Genom – die DNA – eines Organismus‘ einzugreifen. Ein Hundezüchter greift auch gezielt in den Organismus ein, jedoch auf Phänotypebene (wie der Hund am Ende aussieht). Er schaut sich den Organismus als Ganzes an und züchtet so lange, bis er eine neue Eigenschaft hat oder eine bestehende Eigenschaft “verbessert” hat.
Der Genetiker schaut sich die Genetik eines Organismus‘ an, und manipuliert die Genetik so, dass es vorteilhaft ist. Das, was Züchter seit tausenden von Jahren machen, was die Evolution seit Milliarden Jahren macht, das alles macht der Genetiker im Reagenzglas und „pflanzt“ das dann in einen Organismus ein – nur sehr viel schneller und sehr viel gezielter.
Das klingt jetzt alles sehr harmlos und ist eine reine Definition. Ich will es weder verharmlosen noch überspitzen, sondern einfach nur erklären.
Wilde Banane (unten) vs. gezüchtete Banane (oben). Bedenke das, wenn Du das nächste Mal über Gentechnik herziehst.
Was ist Biotechnologie?
Im Master habe ich Molekulare Biotechnologie an der TU München studiert. Biotechnologie ist die Schnittstelle aus Gentechnik, Mikrobiologie, und Biochemie. Ich habe gelernt, wie ich einen Organismus auf DNA-Ebene so manipulieren kann, dass er genau das produziert, was ich gerne haben möchte.
Diese Schnittstelle ist eine absolute Schlüsseltechnologie in diesem Jahrhundert und hat in den letzten 30 Jahren unser Leben auf eine sehr unterschätzte Art und Weise revolutioniert.
Biotechnologie ist heute überall anzutreffen und sehr nützlich. Die Methoden wiederholen sich immer wieder, die Praxis ist unendlich. Was ich mit diesem Wissen im Studium gemacht habe?
- Ich habe Algen mit Zucker gefüttert und dann zugesehen, wie sie daraus Biodiesel hergestellt haben.
- Ich habe Fragmente eines Antikörpers, der bei rheumatoider Arthritis eingesetzt wird, in Bakterienzellen hergestellt, die üblicherweise nur im Darm vorkommen (E. coli).
- Ich habe Enzyme untersucht, die in Biogasanlagen Pflanzenfasern abbauen und daraus Traubenzucker herstellen.
- Bei ziemlich jeder Arbeit im Labor benutzt der Biologe heute die Erzeugnisse aus Gentechnik: Antikörper sind dabei mit Abstand am wichtigsten, um Veränderungen in einer Zelle zu sehen. Außerdem Enzyme, die bei gentechnischen Arbeiten benötigt werden.
Begriffserklärung: Antikörper sind Proteine, die einen ganz bestimmten Stoff erkennen und binden. Dieser Stoff ist in 95% der Fälle ein anderes Protein. Ein Enzym ist ein Protein, das eine ganz bestimmte chemische Reaktion durchführt.
Nach dieser Einleitung weißt Du nun, was Gentechnik ist. Anschließend möchte ich Dir erklären, wo in unserem Alltag heute Gentechnik schon eingesetzt wird:
Warum Gentechnik jeden Tag Leben rettet und unser Leben angenehmer macht
Gentechnik und Biotechnologie sind heute schon sehr verbreitet und bilden die Lebensgrundlage für ein paar Millionen Menschen in Deutschland. Warum? Weil große Teile der Nahrungsmittel-, Chemie- und Pharmaindustrie auf Biotechnologie angewiesen sind. Weil biologische Forschung und die Herstellung von Medikamenten heute ohne Gentechnik undenkbar ist. Warum?
- Gentechnisch veränderte Bakterien produzieren heute schon in streng abgeschotteten Labors Insulin für Diabetiker.
- …Antikörper für die Krebstherapie und für die Forschung…
- …Biodiesel. Biogas. Biowasserstoff…
- …Neuartige probiotische Joghurts, die bei schlimmen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder dem Reizdarmsyndrom helfen können…
- …Wachstumshormone für Kinder mit Wachstumsstörungen…
- …Hormonersatztherapie für Männer im Alter oder nach einer Prostata-Operation…
- …Hormonersatztherapie für Frauen nach den Wechseljahren…
- …Hochselektive Medikamente für die Behandlung akut lebensbedrohlicher Erkrankungen wie Leukämie…
- …Antibiotika…
- …Aminosäuren für Futtermittel, Stoffwechselerkrankungen, oder zur Nahrungsergänzung…
- …Biopestizide (auf Naturbasis, nicht auf Chemiebasis)…
- …Biokunststoffe, die Plastik irgendwann überflüssig machen könnten…
- …Enzyme für Waschmittel…
- …Feinchemikalien wie Alkohole, Zucker, Lösungsmittel, Farbstoffe
- …Nährstoffe wie Vitamin C und Vitamin B,…
Dahinter steckt Biotechnologie, dahinter steckt Gentechnik. Diese Dinge retten jedes Jahr weltweit Millionen Leben, steigern die Lebensqualität von noch mehr Millionen Menschen, machen unser Leben angenehmer, machen medizinische Forschung erst möglich, machen uns von fossilen Brennstoffen unabhängiger, schützen die Umwelt, und bilden die Lebensgrundlage für Millionen Menschen.
Auch mein täglich‘ Brot im Uniklinikum ist zu einem bestimmten Teil von Gentechnik abhängig. Es geht bei Gentechnik in erster Linie NICHT darum, monströse Pflanzen zu züchten, die mit Pestiziden und Giftstoffen um sich schießen, dornenbewehrte Tentakel besitzen und in Neon-Farben leuchten.
Daher kann ich als ausgebildeter Biochemiker nur mit dem Kopf schütteln, wenn mal wieder irgendjemand irgendwo über die Gentechnik herzieht… Aber nicht weiß, was es wirklich damit auf sich hat.
Ich hoffe also, dass Du hier in Zukunft ein wenig kritischer bist, nicht einfach Ja und Amen sagst; sondern mit dem richtigen Wissen im Hinterkopf mitdenken kannst. So, wie es sein sollte: Bilde Dir eine eigene Meinung, werde mündig, kläre Dich auf, und vertrete diese Meinung dann.
Gegen Gentechnik wird gerne gewettert. In 95 % der Fälle ist das überspitzt, übertrieben, auf falschen Tatsachen beruhend, oder die Realität verzerrend. Es gibt ein paar negative Beispiele für Gentechnik, durchaus.
Aber deswegen gleich alles verteufeln? Deswegen gleich alle über einen Kamm scheren, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten und versuchen, die Welt ein wenig besser zu machen?
Nicht vergessen: Gentechnik und Biotechnologie sind absolute Schlüsseltechnologien im neuen Jahrhundert und haben jetzt schon beeindruckende Auswirkungen auf unsere Lebensqualität.
Warum Gentechnik halb so wild ist
Es gibt ein paar größere Studien, die von meinungsbildenden Instituten durchgeführt wurden. In diesen Studien sollte geklärt werden, wie die Bevölkerung zu Gentechnik steht und, was sie über Gentechnik weiß. Die meisten Menschen haben eine ablehnende Haltung gegenüber Gentechnik, wissen jedoch nicht, was es ist und um was es geht.
Das ist nicht böse gemeint, sondern Fakt. Gentechnik klingt irgendwie böse, klingt nach einem schlechten Horrorfilm, klingt nach einem Hund mit acht Beinen, zwei Köpfen und vier Augen, der je nach Temperatur rotes oder blaues Fell hat. Dabei ist Gentechnik streng genommen nur eine andere Art von Züchtung.
Wenn Du das nächste Mal über Gentechnik herziehst, bedenke: Ein Chihuahua war früher mal ein Wolf. Das war Züchtung.
Es sollte mehr Aufklärungsarbeit betrieben werden, klar. Es sollten weniger reißerische Beiträge in den Massenmedien darüber geschrieben werden. Und es sollte weniger Skandale um manipuliertes Saatgut von Mons***o und Co. geben. All dies lässt die Gentechnik in einem schlechteren Licht darstellen, als es nötig wäre.
Lass mich Dir erklären, warum Gentechnik wirklich nicht so schlimm ist, wie die meisten meinen. Und warum Gentechnik unser Leben mehr bereichert, als wir ahnen:
1. Regulierungen
Niemand darf einfach so Gentechnik-Experimente durchführen. Man muss eine entsprechende wissenschaftliche Ausbildung vorweisen, und ein unendlich langes Prozedere über sich ergehen lassen, bis mehrere unabhängige Komitees ein Gentechnik-Experiment genehmigen.
Wenn die Experimente an lebenden Organismen wie Mäusen oder Ratten durchgeführt werden, kann das bis zu einem Jahr dauern. Jeder Wissenschaftler weiß, wie schwer es ist, solche Experimente durchführen zu dürfen. Und jeder Wissenschaftler weiß auch, wie streng laufende Tier-Experimente reguliert, kontrolliert und überwacht werden.
2. Einzelne Negativbeispiele
Alle paar Monate wird irgendein neuer Gentechnik-Skandal aufgedeckt. Irgendeine große Firma wie hat mal wieder gentechnisch verändertes Saatgut an arme Bauern in Südamerika verkauft, macht sie davon abhängig, und erpresst sie. Das ist natürlich sehr schlimm und absolut verachtenswert.
Dennoch geht es hier nicht um die Gentechnik, sondern um die schlechte Tat an sich. Die Gentechnik wird hier als Vehikel für Wut und Ablehnung gegenüber dieser Art von Unternehmenskultur benutzt. Die Massenmedien stürzen sich auf solche Geschichten, bauschen sie unnötig auf weil sie genau wissen, dass sie damit direkt in Herz und Gehirn der Bevölkerung treffen.
„Gentechnik nein Danke!“ „Keine Gentechnik in Deutschland!“ heißt es dann wieder.
Die Gentechnik trifft jedoch keine Schuld, sondern die Großkonzerne, die damit Unfug anstellen.
3. Panik in den Medien
Unsere Massenmedien funktionieren so, dass Umsatz über Masse geht. Je mehr Zeitschriften verkauft werden, je mehr online geklickt wird, desto mehr Geld verdienen diese Massenmedien (Spiegel, Focus, Stern, Bild, GMX, Yahoo!, …). Und wie bekommt man am meisten Aufmerksamkeit?
Durch Angst, durch Panikmache, durch reißerische Artikel. Gentechnik ist hier (ähnlich wie die Atomkraft und Kinderentführungen) ein beliebtes Thema, um Aufmerksamkeit zu bekommen, reißerische Artikel zu schreiben, und Angst zu schüren. Dass diese Gentechnik-Artikel an der Realität weit vorbei schießen, scheint meistens niemanden zu interessieren.
4. Unverständnis
Seit diversen Anti-Gentechnik-Kampagnen in den 80er Jahren ist die Ablehnung gegenüber Gentechnik so tief in uns verankert, dass meistens nur das Wort fallen muss, um für eine erhobene Faust zu sorgen.
Was ist Gentechnik? Was ist ein Gen? Und was ist die DNA? Wie kann man die DNA verändern, wie schwer ist das? Mehr Aufklärungsarbeit ist nötig, dann würden die meisten Menschen auch einsehen, dass Gentechnik halb so wild ist.
Man kann nicht so einfach mit einem Radiergummi über die DNA gehen, etwas löschen und mit einer beliebigen Sequenz ersetzen. Natürlich kann man das, aber das ist sehr schwer, dauert sehr lange, und muss (bei Tier- und Pflanzenexperimenten) von zig Komitees genehmigt werden.
Außerdem ist es ein großer Unterschied, ob das an einem kleinen Bakterium, oder einem größeren Tier angewandt wird. Je größer der Organismus, desto schwerer ein solcher Eingriff.
Begriffserklärung: Was ist ein Gen? Ein Gen ist die kleinste Einheit unseres Erbguts, der DNA. Ein Gen ist die Bauanleitung für ein bestimmtes Protein. Jeder Mensch hat davon etwa 23.000. Alles, was Du isst und trinkst, enthält DNA von Tieren, Pflanzen, Viren, Bakterien.
Du verleibst Dir jeden Tag ein paar Gramm fremder DNA ein. Diese DNA baut Dein Verdauungsapparat ab, verdaut sie, und scheidet sie wieder aus. Diese Gene wirken sich nicht nennenswert auf Deine Gesundheit aus. Ähnlich ist es mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Diese bösen „Gene“ beeinflussen Deinen Körper nicht sonderlich. Auch keine künstlichen Gene.
5. Gentechnisch veränderte Pflanzen
Gentechnik-Experimente an Pflanzen sind in Deutschland ähnlich streng reguliert wie an Tieren. Man könnte meinen, die Pflanzenbiotechnologie ist in Deutschland ziemlich tot, und bis auf ein paar wenige Ausnahmen wird hier kaum geforscht und gemacht.
Auch goldener Reis (Reis, der ß-Carotin produziert und damit für viele Millionen Menschen lebensrettend sein könnte) ist eine tolle Sache – aber diese Pflanzenmonster, mit denen Anti-Gentechnik Kampagnen gerne werben, gibt es nicht. Diese Monster werden in Deutschland nicht genehmigt, und dürfen auch nicht produziert werden.
6. Biotech-Terrorismus
Theoretisch kann jeder in seiner Garage ein kleines illegales Genlabor öffnen und dort irgendwelche neuen Killerviren herstellen. Theoretisch kann auch jeder in seiner Garage ein paar Bomben bauen und in eine U-Bahn werfen. Entschuldige den harten Vergleich, aber es stimmt doch: Terrorismus ist das Problem, nicht die Gentechnik. Die wäre nur wieder das Vehikel.
7. Was ist mit Glyphosat?
Es gibt gentechnisch veränderte Pflanzen (meist Mais oder Soja), die resistent gegen das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat sind. Es ist bekannt, dass Glyphosat im menschlichen Darm und in den Nieren zu Schäden führen kann, indem es die Kontakte zwischen den Darmzellen lockert und so ein Leaky Gut Syndrom begünstigt (s. hier).
Außerdem schadet Glyphosat bekanntermaßen den Bienen, und ohne Bienen wird die Landwirtschaft, wie wir sie kennen, bald kollabieren.
Auch hier ist wieder Gentechnik nicht das Böse, sondern das Vehikel. Das Problem liegt in Wahrheit bei der industriellen Landwirtschaft, bei schlechten EU-Subventionen, die das noch unterstützen, und bei Großkonzernen, die mit dem Verkauf von RoundupTM & Co. Milliarden verdienen.
Was mich persönlich stört: “Milch ohne Gentechnik”
Zum Abschluss würde ich gerne noch auf etwas eingehen, das die meisten täglich auf ihrer Milchpackung sehen: Sicher hast Du schon mal Milch oder Fleisch mit dem Aufkleber „Ohne Gentechnik“ gesehen. Das soll suggerieren, dass es sich hier um ein ganz tolles Produkt handelt, von verantwortungsbewussten Bauern und glücklichen Kühen.
Doch das täuscht: Dieses Etikett soll nur ablenken und das suggerieren.
Von was ablenken? Dass es sich hierbei um Milch aus klassischer Massentierhaltung handelt. Diese Kühe sehen selten das Tageslicht, werden mit Mais und Soja gemästet, mit Antibiotika und Wachstumshormonen vollgepumpt, stehen viel zu eng und sind chronisch gestresst. Aber keine Gentechnik?! Ganz toll!
Ohne Gentechnik? Der Wahnsinn! Muss ein gutes Produkt sein …
Heute ging es mal nicht um schnelle und einfache Gesundheitstipps, sondern um ein Thema, das mir am Herzen liegt und meist falsch dargestellt wird. Ähnlich wie damals, als ein paar Dinge über die Säure-Base-Theorie gesagt werden mussten.
Wie ist Deine Einstellung zu Gentechnik? Würdest Du mir zustimmen, oder etwas ergänzen?
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Martin Auerswald ist studierter Biochemiker, Ernährungsberater, Mikronährstoffberater und Autor.
Seine Lebensmission ist es, Menschen dabei zu unterstützen, ein gesundes, glückliches und erfülltes Leben zu führen. Mit seinen Beiträgen, seiner Gesundheitsplatform SchnellEinfachGesund.de, Podcast und Kongressen erreicht er jedes Jahr mehrere Millionen Menschen.
1 Kommentar
Toll, wie du das erklärst, so kann ich als Laie das ganze auch verstehen. Danke dafür. Die Angst, die durch die Medien erzeugt wird, kommt nämlich dadurch, dass wir Bürger einseitig bis gar nicht informiert werden und wie man an diesen Artikel sieht, wäre es auch anders möglich.