Die Säure-Base-Theorie ist nicht totzukriegen. Immer wieder erscheinen Bücher und Artikel zum Thema und ich erhalte E-Mails, in denen mir Fragen dazu gestellt werden.

Viele Menschen schwören auf sie und richten ihre Ernährung nach ihr aus. Mehr noch, es gibt Anbieter, die mit Programmen und Kuren locken, um die Säurelast im Körper zu minimieren. Auch sogenanntes „Basenfasten“ hat sich etabliert.

Das Problem dabei: Es handelt sich nur um eine Theorie. Ob sie praxisrelevant ist, ist fraglich. Zumal das biologische Fundament, auf dem sie fußt, nicht sonderlich stabil ist. Eine ganze Ernährungsweise an die Säure-Base-Theorie anzulehnen, ist deshalb kritisch.

Lass mich Dir heute erklären, was die Theorie besagt und warum sie völliger Unsinn ist.

Passend dazu haben wir eine Episode in unserem Podcast. Du kannst sie Dir hier anhören:

 

Was besagt die Säure-Base-Theorie?

Ein wichtiger Begriff ist der pH-Wert: Dieser ist ein Maß dafür, wie sauer oder basisch ein System ist. Ein pH-Wert von 7 ist neutral, Werte darunter sind sauer, Werte darüber basisch. Die Schritte sind dabei logarithmisch, das heißt, dass ein System mit einem pH-Wert von 6 10-mal saurer ist als eines mit einem Wert von 7. Eines mit einem pH-Wert von 3 ist 10.000-mal saurer.

Die Säure-Base-Theorie besagt, dass der Körper ständig Säuren aus der Nahrung oder anderen Stoffen ausgesetzt ist, aus denen er Säuren „produziert“. Nehmen diese überhand, z. B. bei einer ungesunden Ernährung, übersäuert der Organismus. Folgen davon sind (chronische) Erkrankungen, z. B. Krebs, Diabetes, Bluthochdruck etc. Zumindest der Theorie nach.

Die wichtigsten Säurebildner:

Die wichtigsten Basenbildner:

  • Obst und Gemüse (dank Kalium, Magnesium, Calcium)
  • Rohmilch-Produkte und Joghurt
  • Zitrusfrüchte (obwohl sauer, „bilden“ sie anscheinend Basen im Körper)
  • Alle Getreidesorten (außer Weizen, Dinkel und Reis)
  • Kräuter und Tee
  • Hülsenfrüchte

Neutral sind:

 

Die psychologische Grundlage hinter der Säure-Base-Theorie

Wenn es um Programme, Kuren und Produkte geht, die sich auf die Theorie beziehen, wird mit Begriffen gespielt, die beim Leser/Kunden Angst auslösen sollen. Säure ist ein sehr negativ besetztes Wort. Man soll Angst vor den „Säuren“ bekommen, die in unserer Nahrung stecken, um nicht „verätzt“ zu werden und nicht zu übersäuern.

Niemand mag Säuren – Du etwa? Nein? Dann hör auf, Säuren zu essen!

Angst ist ein sehr mächtiges Instrument, vergiss das niemals. Hier ist sie aber unbegründet.

 

Die Säure-Base-Theorie in der Wissenschaft

Es gibt wissenschaftliche Studien, in denen die Säure-Base-Balance als Hilfsmittel dafür verwendet wird, wie viel Stress ein Lebensmittel theoretisch für die Niere bedeutet. Dies wird als Potential Renal Acid Load (auf Deutsch „Potenzielle Nierensäurebelastung“) bezeichnet.

Behalte dabei bitte im Hinterkopf, dass dieses Hilfsmittel der Vereinfachung dient – nicht als Grundlage für Ernährungskonzepte. Denn das wird oft missverstanden. Auf Mikroebene klingt das Säure-Base-Konzept plausibel und es lassen sich viele tolle Rechnungen und Vergleiche anstellen, aber auf Makroebene (d. h. in Bezug auf den ganzen Körper) ist sie eben nichts weiter als eine Theorie.

 

Die Säure-Base-Theorie ist auf Sand gebaut

Die Theorie ignoriert fundamentale biologische Fakten. Nimmt man sie genauer unter die Lupe, wird das deutlich.

Lass mich Dir deshalb anhand von 9 Fehlern erklären, warum sie unsinnig ist und Ernährungsweisen nicht auf ihr basieren sollten.

 

Fehler Nummer 1: Der Körper ist ein geschlossenes System

Im Kontext der Theorie wird angenommen, dass der Körper ein geschlossenes System ist. Es gibt einen Weg hinein (Nahrung) und einen Weg hinaus (Urin).

Wer sich ein wenig mit Biologie auskennt, der weiß jedoch, dass es noch mehr Variablen gibt. Der Körper ist ein offenes System und interagiert ständig mit seiner Umwelt, über Luft, Wasser, Haut, Darm und Niere.

Es ist also nicht möglich, dass der Körper allein durch die Nahrung mit einer halbwegs gesunden Ernährung (ohne den täglichen Shot Batteriesäure) übersäuert.

Exkurs: Wie der Körper den pH-Wert reguliert

Angenommen, wir würden uns so ernähren, dass tatsächlich eine Übersäuerung droht. Wie kann der Körper dem entgegenwirken und den pH-Wert regulieren?

  • Atemluft: Der Körper kann, um überschüssige Säuren loszuwerden, Kohlensäure bilden, die in der Lunge in H2O (Wasser) und CO2 (Kohlendioxid) zerfällt. Das Kohlendioxid – und damit eine potentielle Säure – wird ausgeatmet.
  • Haut: Säuren können durch Schweiß ausgeschieden werden. Das ist wichtig, da die Haut einen leicht sauren pH-Wert aufweisen sollte, um Bakterien und Pilze am Wachstum zu hindern. Hier erfüllen die Säuren einen wertvollen Nutzen.
  • Urin: Urin sollte immer sauer sein (mehr dazu gleich).
  • Stuhl: Auch Stuhl ist im Normalfall angesäuert, damit Krankheitserreger und schadhafte Mikroorganismen im Darm abgetötet und entfernt werden.

Zwischenfazit: Säuren sind nicht nur normal im Körper, sie sind sogar überlebensnotwendig.

 

Fehler Nummer 2: Der Körper kann den pH-Wert nicht anpassen

Der pH-Wert des Blutes wird in einem sehr streng regulierten Bereich gehalten: 7,35–7,45 (leicht basisch). Es gibt Enzyme, die diesen pH-Wert regulieren (Carboanhydrase und alkalische Phosphatase), sowie Puffer, die Schwankungen im pH-Wert abmildern (Phosphatpuffer, Carbonatpuffer).

Würde der Körper wirklich übersäuern, würden diese zwei Systeme reagieren. Kollabierten sie plötzlich, würden wir sehr schnell sterben, was aber nicht zu befürchten ist.

 

Fehler Nummer 3: Ein saurer Urin ist ein Zeichen für Übersäuerung

Wie kannst Du messen, ob Dein Körper übersäuert ist? Du nimmst Dir einen pH-Messstreifen und misst den pH-Wert Deines Urins. Ist er sauer, gilt das auch für Deinen Körper. Ganz klarer Fall.

Tatsächlich ist es ein gutes Zeichen, wenn Dein Urin sauer ist. Das heißt, Dein Körper scheidet Säuren aus und beugt gleichsam Harnwegsinfektionen vor, denn jene wirken desinfizierend. Ich würde mir eher Sorgen machen, wenn der Urin nicht sauer ist. Das könnte auf Nierenprobleme hindeuten oder eine Blasenentzündung begünstigen.

 

Fehler Nummer 4: Der Körper kann nur übersäuern

„Säure“ ist ein sehr negatives Wort, mit dem gerne Angst und Schrecken verbreitet wird. „Base“ hingegen nicht. Dabei ist es theoretisch möglich, dass der Körper auch zu alkalisch wird, also überbasen kann. Das hast Du noch nirgendwo gelesen, oder? Tja, damit lässt sich keine Panik machen und auch kein Geld verdienen.

Aber rein theoretisch ist es möglich, dass der Körper über-säuern und über-basen kann. Das nennt man Alkalose – in der Medizin ein bekanntes, aber seltenes Phänomen.

 

Fehler Nummer 5: Die Ernährung wird auf Säuren und Basen reduziert

Die Ernährung sollte niemals auf einzelne Faktoren begrenzt werden. Nicht auf Makronährstoffe wie Kohlenhydrate und Fett, nicht auf Säuren und Basen.

Unser Körper ist ein biochemisches Meisterwerk mit Millionen verschiedenen Substanzen, die miteinander in Wechselwirkung stehen.

Basen haben ihre Daseinsberechtigung, Säuren ebenso. Der Körper braucht beides, um zu funktionieren, genauso wie Tausende andere Stoffe, die wir über die Nahrung zuführen müssen.

Aber eine Ernährung nur auf Säuren und Basen zu reduzieren, um sie zu vereinfachen und daraus ein Ernährungskonzept zu basteln? Das stiftet nur Verwirrung und schadet auf Dauer mehr, als dass es nützt.

 

Fehler Nummer 6: Säuren sind schlecht!

Dein Körper besteht aus etwa 30 Billionen Zellen. Jede hat einen Zellkern, der sauer ist (oxidativ – nur die roten Blutkörperchen bilden eine Ausnahme, sie haben keinen Zellkern). Das Zellinnere ist immer basisch (reduzierend).

Das Blut ist leicht basisch. Die Lymphe ist leicht basisch. Der Dünndarm ist basisch. Der Dickdarm ist sauer. Das Knochenmark ist leicht sauer. Die Haut ist sauer.

Ein Teil des menschlichen Körpers ist also immer basisch und ein anderer sauer. Viele biologische Prozesse funktionieren nur im Sauren (oxidatives Milieu).

Darüber hinaus gibt es bestimmte Flüssigkeiten, Hohlräume und Organe, in denen ein saurer pH-Wert überlebenswichtig ist:

  • Ein leicht saurer Speichel beugt Krankheitserregern im Mund vor.
  • Ein saurer Magen tötet Krankheitserreger aus der Nahrung und Umwelt ab.
  • Ein saurer Schleim in den Atemwegen wird benötigt, um Schimmel und Mikroben aus der Luft abzutöten.
  • Sogar die Schleimhäute in den Geschlechtsorganen sind sauer.

Bist Du immer noch säurefeindlich? Hoffentlich nicht 🙂

 

Fehler Nummer 7: Eine eiweißreiche Ernährung ist immer sauer!

Man bekommt schnell das Gefühl, dass die Ernährung sofort sauer ist, sobald man ein Stück Fleisch oder ein Ei isst.

Ich finde auch, dass Zucker, verarbeitete Fleischprodukte, industrielles Junkfood, Weizen, zu viel Kaffee und andere dieser „Säurebildner“ in der Ernährung nichts verloren haben. Das nur am Rande.

Doch eine Ernährung kann auch insgesamt basisch sein (theoretisch), selbst wenn reichlich Proteinquellen wie Fisch, Fleisch, Innereien und Eier konsumiert werden. Und zwar indem zeitgleich ausreichend basische Lebensmittel wie Obst oder Gemüse auf dem Speiseplan stehen.

Ich selbst esse jeden Tag 1 bis 2 Kilo Obst und Gemüse (zusammengerechnet, s. Paleo Ernährung). Selbst nach Maßstäben der Säure-Base-Theorie ist es mir nicht möglich, so viel Fleisch zu essen, um dennoch zu übersäuern. Meine Ernährung ist also immer basisch, trotz viel Eiweiß.

 

Fehler Nummer 8: Osteoporose und Zivilisationskrankheiten entstehen durch Übersäuerung

Säure löst Kalk, also verursacht eine säurereiche Ernährung Osteoporose. Stimmt, oder?

Wer oberflächlich an eigentlich komplexe biologische Sachverhalte herangeht wie in diesem Beispiel, wird oberflächliche Antworten erhalten. Viele glauben diesen Informationen, weil sie auf den ersten Blick Sinn ergeben. Schließlich kennt jeder den Essigtrick, um Kalkablagerungen in der Küche zu lösen. Aber auch hier wird der Körper wieder als starres System betrachtet, nicht als dynamisches.

Tatsächlich sind Knochenaufbau und Knochenabbau von zahlreichen Faktoren wie Entzündungen, knochenaufbauenden sowie knochenabbauenden Zellen, Nährstoffen wie Vitamin D, Vitamin K2, Magnesium, Zink und Bor abhängig. Diese Prozesse allein auf Säuren und Basen zu reduzieren, ist daher nicht zielführend (s. starke Knochen).

 

Fehler Nummer 9: Eine saure Ernährung schadet den Nieren

Die Nieren sind unser größter Blutfilter. Jede Stunde reinigen sie 5 Liter Blut, 120 Liter am Tag. Sie können überschüssige Säuren aus dem Blut ab- und in den Urin leiten.

Eine saure Ernährung, ein Leben lang, greift die Niere an und zerstört sie. So heißt es in der Säure-Base-Theorie.

In Wahrheit ist der pH-Wert des Blutes so eng reguliert, dass es für die Niere keine Rolle spielt, ob er bei 7,35, 7,38, oder 7,45 liegt. Stärkere Schwankungen gibt es nicht. Und sollte das Blut wirklich einen pH-Wert von 4 bis 5 aufweisen, würdest Du auf der Stelle tot umfallen.

Erst in pH-Bereichen von 6,5 und weniger könnte man auf lange Sicht von einer Gefahr für die Nieren sprechen. Aber nicht bei normalen pH-Werten. Zumal der natürliche pH-Bereich (7,35–7,45) leicht basisch ist …

Also keine Sorge 🙂 Was Deiner Niere wirklich schadet, sind Bluthochdruck, zu dickflüssiges Blut (zu wenig getrunken) und ein zu hoher Blutzuckerspiegel. Nicht das Steak auf Deinem Teller.

 

Wie sollte eine gesunde Ernährung denn aussehen?

Wer diese Frage beantworten möchte, sollte sich von der Säure-Base-Theorie lösen. Beginne, in Nahrungsmitteln zu denken, in Nahrungsmittelgruppen, in Nährstoffen. Nicht in Säuren und Basen, nicht in Fetten und Kohlenhydraten.

Denke an nährstoffreiche, natürliche und unverarbeitete Nahrungsmittel, die Deinem Körper genau das geben, was er braucht: Obst, Gemüse, Bio-Eier, Fisch aus Wildfang, Biofleisch, Nüsse und Samen, Kaffee oder Tee, fermentierte Lebensmittel wie Joghurt und Sauerkraut, Kräuter und Gewürze, einige Getreidesorten, stärkereiches Gemüse.

Je natürlicher und unverarbeiteter, desto besser. Je vielseitiger und bunter, desto besser. Und je nährstoffreicher, desto besser.

Ich persönlich bin ein großer Fan der Paleo-Ernährung. Clean eating ist auch eine tolle Sache. Hauptsache, man denkt in Nahrungsmitteln und Nährstoffen und nicht in eingestaubten Konzepten wie der Säure-Base-Theorie.

Wie lautet Deine Meinung dazu? Was hältst Du von der Säure-Base-Theorie?

Stimmst Du mir zu oder eher nicht? In jedem Fall freue ich mich über Deinen Kommentar 🙂

 

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