Hydroponik – Zukunft der Landwirtschaft?

von Martin Auerswald, M.Sc.
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Hydroponik Titelbild

Dies ist ein Transkript des Podcast-Interviews mit einem der führenden Experten auf dem Gebiet der Hydroponik Roland Sier – vielen Dank an Roland an der Stelle. Mehr über ihn und seine spannende Arbeit erfährst Du hier.

Hinweis: Hier kannst Du das vollständige Podcast-Interview hören (oder direkt zu Spotify gelangen):

Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Episode hier im SchnellEinfachGesund Podcast. Schön, dass ihr wieder eingeschaltet habt. Mein heutiger Gast ist Roland Sier, und er hat uns ein sehr interessantes Thema mitgebracht. Grüß dich Roland, Moin.    #00:00:18-2#

Roland: Hi, grüß dich.    #00:00:22-1#

Martin: Wir haben uns das letzte Mal im Jahr 2016 gesehen, als wir zusammen ein Praktikum während unseres Studiums absolviert haben. Bereits damals hast du dich für Hydroponik interessiert. Ich hatte mich zu dieser Zeit auf die Biotechnologie konzentriert, mache mittlerweile jedoch etwas ganz Anderes. Vor einem halben Jahre sind wir auf LinkedIn wieder übereinander gestolpert, und dort habe ich gesehen, dass du deinen Wunsch, dich der Hydroponik zu widmen, umgesetzt hast. Das war für mich ein guter Grund, dich in meinen Podcast einzuladen. Solche Zufälligkeiten sind oft die besten Dinge, die einem im Leben passieren. Ich bin gespannt zu erfahren, wie es dir in den letzten sechs Jahren ergangen ist. Für alle, die dich noch nicht kennen, stell dich doch bitte einmal kurz vor. Wie ist es dazu gekommen, dass du heute in Schweden bist und dich mit Hydroponik beschäftigst?    #00:01:19-0#

Roland: Ich bin Roland, 29 Jahre alt und ein absoluter Pflanzenfan. Die Pflanzen ziehen sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Es hat als Kind angefangen, als meine Mutter zwei Fichten gekauft hat, die wir im Garten pflanzen wollten. Daraus ist ein kleiner Wettbewerb entstanden. Meine Mutter pflanzte die eine, ich die andere Fichte, und wir wetteten, welche von beiden schöner wachsen würde. Da war ich sechs oder sieben Jahre alt. Ich hatte überhaupt keine Ahnung davon, was ich zu tun hatte, außer, den Baum zu gießen. Ich habe dem Baum alles gegeben, von dem ich glaubte, es sei gut für ihn, zum Beispiel ein Gemisch aus Sand und Dünger. Und tatsächlich war mein Baum nach zwei Jahren ein bisschen größer als der Baum, den meine Mutter gepflanzt hat. Das hat eine Faszination bei mir ausgelöst.    #00:02:17-8#

Nach der Schule habe ich Nachwachsende Rohstoffe im Bachelor studiert. Da ging es primär um die Substitution mit Reststoffen aus Mais, aus denen wir Bioethanol und Bioplastik hergestellt haben. In dieser Zeit haben wir beide uns kennengelernt, Martin, beim Praktikum in Garching. Dort habe ich Biokraftstoffe aus Algen erzeugt, vor allem für Flugzeuge. Das hat mir jedoch gezeigt, dass ich mich nicht in Richtung Energie orientieren möchte, sondern dass ich in der Pflanzenproduktion bleiben will. Anschließend habe ich in Berlin meinen International Master in Horticultural Sciences abgeschlossen, also Gartenbauwissenschaften. Ich hatte Glück, denn ich startete damals zur gleichen Zeit wie Prof. Dr. Geilfus, der den Lehrstuhl für Controlled Environmental Horticulture aufgebaut hat. Das ist der Anbau von Gemüse unter kontrollierten Bedingungen in speziellen Räumen. So kam ich in dieses Gebiet hinein. Anschließend habe ich mich auf den Anbau ohne Erde spezialisiert, die Hydroponik. Dazu gehört der vertikale Anbau von Pflanzen, das so genannte Vertical Farming. Jetzt bin ich gerade in Schweden und betreue eine Farm. Wir optimieren den dortigen Anbau, um gesünderen Salat zu produzieren, den man in den hiesigen Supermärkten kaufen kann.    #00:03:49-4#

Martin: Kannst du uns einen Ausblick in die Zukunft geben? Wie könnte sich die Hydroponik entwickeln? Ich denke, dass diese Form des Anbaus ein sehr relevantes Thema werden wird. Gerne kannst du uns auch Tipps dazu geben, ob es möglich ist, zu Hause selbst etwas mit Hilfe der Hydroponik anzubauen. Auf jeden Fall freue ich mich, dass wir uns wieder begegnet sind. Wie sieht dein typischer Tag aus? Du berätst Farmen bei der Installation und Optimierung von Hydroponik?    #00:04:43-2#

Roland: Ja, genau. Bereits während meines Masters habe ich mich dank des unglaublichen Expertenwissens von Prof. Dr. Geilfus spezialisieren können. Ich war sein Assistent in Berlin, und dadurch konnte ich sehr tief in das Thema eintauchen. Später habe ich eigene Nährlösungen entwickelt, um die Verfahren bedarfsgerecht zu machen. Ich kann erkennen, ob eine Pflanze eine größere Menge Kalium braucht, um noch mehr Blattmasse bilden zu können. In der Hydroponik wird das Wasser wiederverwendet. Dadurch ist der Anbau besonders wassersparend. Es kommt auf das jeweilige System an, aber generell kann man im Vergleich zum konventionellen Anbau 90 bis 95 Prozent des Wassers einsparen. Dabei muss man dem Wasser die Nährstoffe neu zuführen, die die Pflanze für ihr Wachstum herausgezogen hat. Ich prüfe außerdem, ob sich keine gefährlichen Bakterien gebildet haben und nutze das Wasser für eine lange Zeit immer wieder. Nach einer bestimmten Anzahl von Durchläufen oder wenn bestimmte Werte nicht mehr stimmen, muss es gewechselt werden. Aber man recycelt so viel man kann.    #00:06:09-4#

Martin: Das ist sehr spannend. Wie würdest du deiner Oma erklären, was Hydroponik ist?    #00:06:18-4#

Roland: Ich würde sie fragen, warum eine Pflanze in der Erde wachsen muss. Erde hat bestimmte Eigenschaften. Sie gibt den Wurzeln Halt und Stabilität. Mais kann sehr hoch wachsen, aber er fällt nicht um. Natürlich enthält der Boden auch die ganzen Nährstoffe. Das sind Abbauprodukte von Bakterien, die bestimmte Stoffe freigeben, die die Pflanze aufnehmen kann. Es gibt im Boden einen großen Organismus, der arbeitet, um Nährstoffe freizusetzen. Durch die Struktur des Bodens hat man auch bestimmte Poren, die mit Luft und mit Wasser gefüllt sind. Das ist alles, was die Pflanze braucht: Nährstoffe, Wasser und natürlich die Sonne.    #00:07:18-3#

In der Hydroponik möchten wir die Pflanze ebenfalls mit diesen Bestandteilen versorgen, aber wir haben keine Erde, sondern ein Substrat, in das die Pflanze hineinwächst. Das können zum Beispiel Steinwolle oder Kokosfasern sein. Sie geben unseren Pflanzen den nötigen Halt. Steinwolle besteht aus stark erhitztem Stein, der zu Fasern gesponnen wird. Das ist ein anorganisches Medium, weil es keine Nährstoffe enthält. Das heißt, dass wir alle Nährstoffe zugeben müssen, und das machen wir über das Wasser. Dadurch hat die Pflanze alles, was sie braucht. Und wir können es sogar ganz besonders gut steuern und Tricks anwenden, damit die Pflanze selbst einige Stoffe aufbaut, die besonders gesund für uns sind, wenn wir die Pflanze essen.    #00:08:15-2#

Martin: Man hört immer wieder, dass unser Gemüse hauptsächlich aus dem Gewächshaus in Holland kommen, wo sie ebenfalls auf einem künstlichen Substrat wachsen. Geht das auch in die Richtung Hydroponik oder handelt es sich hier um ein anderes Verfahren?    #00:08:34-0#

Roland: Das ist tatsächlich auch Hydroponik, denn die Niederlande sind führend in diesem Bereich, vor allem bei den Tomaten. Viele große Betriebe nutzen die erwähnte Steinwolle und tröpfeln Nährlösungen mit einem so genannten Dripper ein. Bei den Tomaten gibt es den Mythos der holländischen Wassertomate, die nach nichts schmeckt. Davon hast du sicher schon einmal gehört.    #00:09:03-8#

Martin: Genau. Das wäre meine nächste Frage gewesen.      #00:08:51-2#

Roland: Das Problem war, dass die Gewächshäuser zu perfekt für die Tomaten waren, und diese perfekten Bedingungen waren schlecht für den Geschmack. Das klingt komisch, aber die Stoffe, die den Geschmack ausmachen oder die gesund sind, sind meist Stoffe, die die Pflanze zum eigenen Schutz aufbaut. Die Pflanzen in den niederländischen Gewächshäusern waren absolut ungestresst und haben deshalb diese Abwehrstoffe nicht produziert. Daraufhin hat man die Pflanzen mit Hilfe von UV-Licht-Lampen künstlich unter Stress gesetzt. Dadurch haben sie wieder die beliebten Geschmacksstoffe aufgebaut. Die Tomaten werden trainiert, damit wir einen guten Geschmack haben.    #00:10:13-1#

Martin: Indem du Bedingungen schaffst, die Pflanze zu stressen, bringst du sie dazu, das zu produzieren, was sie gesund macht.    #00:10:24-3#

Roland: Genau. In Berlin führten wir einen Versuch durch, bei dem wir Microgreens der UV-Strahlung ausgesetzt haben. Microgreens sind junge, essbare Keimpflanzen. Anschließend haben wir im Labor die sekundären Stoffe dieser Pflanzen analysiert. Das sind Substanzen, die die Pflanze nicht für das Wachstum benötigt. Sie sind aber ein Bonus, weil sie das Gewächs zum Beispiel vor Fraßfeinden schützen kann. Die Microgreens sind etwas scharf im Geschmack. Diese Schärfe ist ein Abwehrstoff gegen kleine Insekten, die gerne an den Pflanzen kauen würden. Im Experiment hatten wir drei unterschiedliche Kontrollgruppen gemessen, eine ohne UV-Bestrahlung und zwei Gruppen mit je unterschiedlicher UV-Bestrahlung. Die bestrahlten Pflanzen hatten eine höhere Konzentration an Abwehrstoffen gebildet. Diese Abwehrstoffe sorgen auch dafür, dass unser Körper Antioxidantien bildet, wenn wir die Pflanzen essen. Das heißt, dass sie gut für unsere Gesundheit sind.    #00:11:48-5#

Martin: So argumentieren auch die Hersteller von Bio-Lebensmitteln. Die Pflanzen werden ohne Pestizide robuster und bilden Stoffe, die unserer Gesundheit gut tun. Kann man Hydroponik mit Bio-Anbau vergleichen? #00:12:02-7#

Roland: Darüber wird in der Branche gestritten. Der in der EU vorherrschende Biostandard ist eine reine Definitionssache. Dort heißt es, dass die Pflanze in der Erde wachsen muss. Auch Demeter ist dahingehend ganz strikt. Die schauen Hydroponik nicht einmal an. Dadurch, dass ich bei der Hydroponik alles kontrollieren kann, erzeuge ich eine Qualität, die noch besser ist als Bio. Ich nenne es gerne “beyond organic”. Das ist der Term, den ich cool finde. Es ist noch weiter als Bio. Ein kleines Beispiel. Neben der Autobahnauffahrt liegt ein Erdbeerfeld. Der Bauer düngt nicht mit mineralischen Düngern, nutzt keine Pestizide und hält sich an die Bio-Regeln, aber die Erdbeeren sind den Autoabgasen ausgesetzt, dem Feinstaub und den Stickoxiden. Womöglich ist der Boden sogar noch mit Schwermetallen belastet. Ist das Feld dann noch Bio? Für mich nicht. Meiner Meinung nach muss man die Sache ganzheitlich sehen. Nur, weil der Bauer ein Siegel hat und Stoff A, B und C nicht ausbringt, müssen die Erzeugnisse noch lange nicht gesund sein. Die Produkte, die durch Hydroponik erzeugt werden, sollten ein eigenes Siegel haben. Wir hingegen haben ständige und ganze genaue Analysewerte des Wassers und können die Inhaltsstoffe nachweisen.    #00:13:52-5#

Martin: Das sind interessante Gedankengänge. Alles hat Vor- und Nachteile. Konventionell angebaute Weintrauben und Tomaten, die in der Erde wachsen, sind oft mit Pestiziden belastet. Demgegenüber stehen Hydroponikerzeugnisse, die nicht in der Erde wachsen, aber dafür clean und frei von Pestiziden sind. Das ist ein Vergleich wert. Gerade Hydroponik bietet die Möglichkeit, die wachsende Erdbevölkerung möglichst gesund zu ernähren. Diese Sichtweise ist auch einer der Hintergründe der Entwicklung von neuen Techniken. Was war für dich der entscheidende Punkt? Geht es darum, die Produktion optimal steuern zu können, oder geht es mehr in Richtung Zukunft, Nachhaltigkeit und Wasserverbrauch? Was fasziniert dich daran?    #00:14:53-2#

Roland: Für mich geht es um die Freude am Lebewesen Pflanze. Ein Baum steht irgendwo, und man nimmt nicht wahr, dass er ein Lebewesen ist. Diese Erkenntnis hat mich schon als Kind fasziniert. Der Spaß und die Freude an der Pflanze sind mein primärer Antrieb. Auch die chemischen Aspekte finde ich sehr interessant. Ich möchte wissen, welche Nährsalze ich benötige, um eine optimale Zusammensetzung zu erzeugen, die die Pflanze mag. Natürlich ist auch Nachhaltigkeit sehr wichtig. Ich würde nicht gerne in der Ölindustrie arbeiten, denn das sehe ich nicht als nachhaltig an. Das alles sind meine persönlichen Werte. Primär ist es jedoch die Freude an der Pflanzenwelt.    #00:15:52-5#

Martin: Mir geht es ähnlich. Eines meiner Steckenpferde sind die Heilpilze geworden. Die meisten Pilze kannst du nur bedingt wild sammeln und ernten. Über das Wurzelgeflecht nehmen sie Schwermetalle aus dem Boden auf und reichern sie in ihren Körpern an. Waldpilze können deshalb einen hohen Gehalt an Cadmium und Quecksilber aufweisen. Pilze, die für den Verzehr gedacht sind, werden in streng überwachten Kulturen gezüchtet. Jetzt könnte man sagen, dass wild gewachsene Pilze viel robuster sind, aber nein, dem ist nicht so, denn gerade bei Kulturen kann man alle Komponenten genau kontrollieren. Da sehe ich enge Parallelen zur Hydroponik. Du hast erwähnt, dass die Verfahren bis zu 95 Prozent weniger Wasser benötigen als bei herkömmlichen Anbau. Wasser wird ein immer knapperes Gut, gerade in Europa. Die Sommer werden heißer, die Grundwasservorkommen schrumpfen, und das Wasser wird in Zukunft ein wichtiges Thema werden. Deswegen finde ich es schön, dass du bereits jetzt zukunftsweisend arbeitest. Kommt die Hydroponik ganz ohne Pestizide und Antibiotika aus, oder muss man manchmal nachhelfen?      #00:17:06-2#

Roland: Das kommt auf das Farm-Management an. Hier in Schweden spritzen wir überhaupt nicht. Wir verteilen Nematoden auf unser Substrat. Das sind so genannte Hyperparasiten, genauer gesagt Fadenwürmer, die problematische Organismen fressen. Wir tragen sie auf das Kokosfasersubstrat auf, und dort beginnen die Nematoden zu arbeiten, schon bevor das eigentliche Keimen beginnt. Wir spritzen überhaupt nichts. Wir verwenden Gelb- und Blaufallen, auf denen Fliegen und andere Insekten klebenbleiben, die sich in die Pflanzen verirren könnten. Das verhindert, dass sie in die Produktion geraten. Ich habe bereits angesprochen, das wir das verwendete Wasser wieder aufbereiten. Wir entkeimen das Wasser mit einer UV-Filteranlage und desinfizieren es mit Wasserstoffperoxid, das anschließend zu Wasserstoff und Sauerstoff zerfällt. Das ist ein Abfallprodukt, das wir in winzigen Mengen auch in unserem eigenen Körper produzieren. Durch Enzyme wird es sehr schnell abgebaut.      #00:18:35-9#

Das ist alles, was wir bei der Produktion einsetzen. Der Salat wird noch nicht einmal gewaschen, denn dadurch würde die Haltbarkeit leiden. Er wird geerntet und gepackt. Dieser Salat bleibt bis zu zwei Wochen im Kühlschrank frisch. Geschnitten, verpackt und raus damit. Die Qualität ist sehr hoch. In Deutschland, Österreich und in der Schweiz findet man wenig Erzeugnisse dieser Qualitätsstufe, weil das meiste über Großlager geht und dort einige Tage lagert, bevor der Salat in den Supermarkt kommt. Womöglich wurde er auch noch gewaschen. Diese Bedingungen wirken sich auf die Haltbarkeit und auf die Lagerdauer aus.    #00:19:16-0#

Martin: Was sind aktuell die wichtigsten Crops im Bereich Hydroponik? Was kann man profitabel im großen Stil anbauen?    #00:19:27-4#

Roland: In Europa wird der Anbau durch die verschärften Energiepreise schwieriger. In USA zum Beispiel, wo die Energie günstig ist, wird viel mehr angebaut. Dort ist die Hydroponik weit präsenter und viel fortgeschrittener. Das Verfahren wurde ursprünglich für den Anbau von Cannabis entwickelt, und aus dem Bereich kommen auch die meisten Innovationen. Im Lebensmittelbereich ging es mit Tomaten los, und heute werden im großen Stil Salate und Kräuter angebaut. Die wachsen sehr schnell, und man kann sie oft ernten. Pilze eignen sich eher nicht für die Hydroponik, aber wir nutzen das Verfahren für Functional Food zur Herstellung von bestimmten Heilkräutern oder essbaren Blüten, also von exotischeren Pflanzen. In diese Richtung geht die moderne Hydroponik. Ob sie profitabel ist, hängt vom individuellen Anbau und vom jeweiligen Markt ab. In Deutschland und Österreich ist es deutlich schwieriger als in Schweden. Der in Deutschland verkaufte Rucola kommt aus Italien. Der wird auf den LKW geladen und hierher gekarrt. Das geht schnell. Von Italien nach Schweden ist es schon eine sehr viel längere Strecke. Dann verringert sich auch wieder die Haltbarkeit. Es gibt viele verschiedene Faktoren.    #00:21:10-0#

Martin: Zumal man nie weiß, wo die Sachen wirklich herkommen. Ich habe mir angewöhnt, nichts mehr zu kaufen, was aus Spanien, Senegal oder aus Chile kommt. So versuche ich, meinen Teil dazu beizutragen, die Logistik zu kontrollieren. Wenn sich die Haltbarkeit verbessert, verbessert sich auch der Nährstoffgehalt. Ich muss keine Angst haben, dass die unteren Erdbeeren in der Schale bereits verschimmelt sind.    #00:22:04-8#

Roland: Ja, ganz klar. In dem Moment, wo ich die Pflanze abschneide, beginnt die Haltbarkeit zu sinken. Die Pflanze befindet sich im Überlebensmodus und versucht, noch etwas zu retten. Die Inhaltsstoffe nehmen danach immer weiter ab. Vor Kurzem habe ich eine Story von Dr. Simone Koch gehört. Es ging darum, warum man dem Körper zusätzlich Ascorbinsäure geben sollte, also Vitamin C. Studien besagen, dass die Lebensmittel früher mehr gesunde Inhaltsstoffe enthielten. Das fand ich sehr spannend. Ich kenne nicht den allerneuesten Stand der Forschung, aber ich habe eine mögliche Erklärung dazu gehört. Eine Aubergine beispielsweise bildet 20 Milligramm vom Stoff xyz, der sehr gesund für uns ist, und wenn diese 20 Milligramm in einer sehr kleinen Aubergine enthalten sind, dann ist die Konzentration natürlich hoch im Vergleich zu einer großen Aubergine, die ebenfalls 20 Milligramm enthält. Für das Phänomen, warum eine Pflanze heute nicht mehr so nahrhaft ist, scheint es eine weitere Erklärung zu geben. Durch den höheren CO2-Gehalt in der Atmosphäre können die Pflanzen besser wachsen und die Früchte größer werden. Wir haben aber trotzdem immer noch die genannten 20 Milligramm, was einer geringeren Konzentration entspricht. Das könnte ein Grund dafür sein, warum das Gemüse früher einen höheren Anteil an gesunden Stoffen hatte. Das ist spannend, und im kontrollierten Anbau können wir dem ein bisschen entgegenwirken, um die Pflanze dazu zu bringen, wieder mehr Nährstoffe zu produzieren.    #00:24:14-7#

Martin: Cool, dass es diese Möglichkeiten gibt, auch bei den Microgreens, die du schon angesprochen hast. Beispielsweise könnte man Brokkolisamen auf Sulforaphan maximieren. Damit sind wir wieder beim Functional Food. Was schätzt du, wie groß der Anteil von Hydroponik in 50 Jahren in Europa sein wird? Wird das Verfahren zunehmen oder eher eine Randerscheinung bleiben? Was denkst du?    #00:24:48-7#

Roland: In manchen Bereichen ist Hydroponik auf dem Weg, Mainstream zu werden, vor allem, wenn es um Blattgemüse, Tomaten und Kräuter geht. Bei Tomaten, würde ich sagen, ist die Hydroponik bereits führend. Ohne genaue Zahlen zu kennen, würde ich schätzen, dass 80 bis 90 Prozent der Tomaten, die in den Niederlanden produziert werden, aus dem Gewächshaus kommen, und davon sind die meisten sicher hydroponisch. Das Verfahren setzt sich immer weiter durch, davon bin ich überzeugt. Wir werden in der Hydroponik aber keine Lebensmittel anbauen, die einen hohen Kalorien- und Proteingehalt haben wie beispielsweise Weizen oder Kartoffeln. Man könnte zwar Erbsen züchten, aber für Weizen und Kartoffeln ist die Hydroponik nicht das richtige Anbausystem. Für diese Erzeugnisse stehen Deutschland, Österreich und der Schweiz genügend große Flächen zur Verfügung, die man nutzen kann. Für Gemüsesorten, Salate und für die exotischeren Dinge kann man mit der Hydroponik lokal produzieren. Es gibt ein Unternehmen, das baut Schiffscontainer in kleine Hydroponikfarmen um, und die lassen sich problemlos in den Städten aufstellen.    #00:26:23-2#

Martin: Viele unserer Hörerinnen und Hörer interessieren sich für den Eigenanbau und für die Selbstversorgung. Können auch einzelne Haushalte die Verfahren der Hydroponik anwenden?    #00:26:42-6#

Roland: Das ist machbar. Ich hatte eine Kundin, die an Krebs erkrankt war. Sie hatte den Wunsch, ihren Salat selbst anzubauen, um ihn so clean wie möglich zu halten. Als Privatperson stehen ihr natürlich keine großen Flächen zur Verfügung, und so kam sie zur Hydroponik. Sie hat mich angesprochen, weil sie Hilfe bei der Beschaffung der Nährlösung benötigte. Mittlerweile baut sie ihren Salat selbst an, und zwar auf einem 1,50 Meter hohen Turm mit einem Durchmesser von 1,7 Metern. Blattgemüse wächst schnell, und man kann es konstant ernten. Es gibt viele Systeme, die auch für Privatpersonen hilfreich sind. Man muss nicht von Null starten.    #00:27:52-9#

Martin: Gibt es ein Buch oder einen Kanal, der Einsteigern hilft, sich in das Thema einzuarbeiten?    #00:28:01-7#

Roland: Als erste Anlaufstelle empfehle ich YouTube. Dort kann man sich inspirieren lassen und findet einen guten Überblick über die verschiedensten Systeme. Man erhält Tipps, wie viel Platz einem zur Verfügung stehen sollte und ob sich die eigenen Flächen dafür eignen, Pflanzen nach oben oder in die Breite wachsen zu lassen. Wer ins Detail gehen will, dem empfehle ich das Buch “Plant Factory” von Toyoki Kozai. Das beschreibt allerdings nur den kontrollierten Anbau. Es ist ein wissenschaftliches und technisches Buch, das eher in den industriellen Bereich geht. Aber wie gesagt, man kann als Einsteiger sehr viel auf YouTube finden. Die meisten guten Videos sind jedoch auf Englisch, weil man in den entsprechenden Ländern schon weiter ist als wir in Europa.    #00:29:35-2#

Martin: Was in angelsächsischen Ländern schon läuft, wird auch in einigen Jahren nach Deutschland kommen, auch wenn die Deutschen eher ein bisschen behäbig sind. Das ist auch im Gesundheitsbereich der Fall. Sie wollen erst den Beweis sehen, dass es funktioniert, wo es funktioniert und warum. Ich bin immer gespannt darauf, wann etwas nach Deutschland kommt und wie es sich durchsetzt. Die Zukunft hält bereits viele Lösungen bereit für Probleme, über die wir uns heute den Kopf zerbrechen. Ich denke, dass die Hydroponik eine dieser Lösungen sein wird. Sie ist nachhaltig und kann Gesellschaften gesund und günstig ernähren. Kannst du uns erklären, was Aquaponik ist?    #00:30:35-5#

Roland: Aquaponik ist ein Verfahren, das Aquakultur und Hydroponik verbindet. Dabei wird das Abwasser der Fischzucht als Nährstoff für Pflanzen verwendet. Dem Abwasser gibt man noch weitere Stoffe hinzu, damit die Pflanze alles hat, was sie braucht. Dazu gehört zum Beispiel Eisen, weil das Eisen, das die Fische ausscheiden, von den Pflanzen nicht genutzt werden kann. Im Großen und Ganzen ist Aquaponik das Recycling des Fischwassers. Das ist ein Kreislauf, der auch in der Natur vorkommt.    #00:31:10-7#

Martin: Welche Fische werden mit der Aquakultur gezüchtet?    #00:31:21-8#

Roland: Es gibt die Unterscheidung in Warmwasser- und Kaltwasserfische. Das ist wichtig für den benötigten Energiebedarf. Sehr häufig wird in der Aquaponik der Tilapia gezüchtet, ein Buntbarsch. Der mag es eher warm. Ein weiterer Fisch, der auf diese Weise gezüchtet wird, ist der Wels. In Österreich gibt es die AndersFarm, die von Peter Neudecker geführt wird. Er züchtet und verkauft sogar Koi Karpfen.    #00:32:00-0#

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Martin: Ich bin durch meinen Schwager auf die Aquaponik gestoßen, der im Herbst den elterlichen Gasthof übernimmt. Der Betrieb hat einen großen Felsenkeller, und er hat mich gefragt, ob man dort eine Aquaponik-Anlage installieren und eigene Fische züchten könnte. Die möchte er in seiner Gaststätte zubereiten. Gleichzeitig hatte er die Idee, einen Kreislauf zu bilden und Heilkräuter zu züchten. Wäre das denkbar?    #00:32:27-2#

Roland: Ja, absolut. Man muss jedoch bedenken, dass man den Pflanzen LED-Licht zur Verfügung stellen muss. Die sind auch effizienter als Lampen, die man in der Vergangenheit genutzt hat. Die Systeme funktionieren und wären auch in einem Gasthof möglich.    #00:32:45-5#

Martin: Gibt es weitere Themen, die wir ansprechen sollten? Was fällt dir noch ein?    #00:33:03-4#

Roland: Ich möchte gerne noch ein Beispiel nennen. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, habt ihr einen roten Apfel zu Hause, zum Beispiel einen Gala Apfel? Wenn ihr euch den Apfel genauer anschaut, werdet ihr merken, dass die eine Seite röter ist als die andere. Diese Seite war während des Wachstums der Sonne zugewandt. Um sich vor der UV-Strahlung zu schützen, hat der Apfel eine Schicht sekundärer Pflanzenstoffe aufgebaut, die eine rote Farbe entwickeln. Wenn man nur einen halben Apfel essen möchte, dann sollte man die rote Seite essen, denn die enthält Antioxidantien und ist gesünder.    #00:34:07-3#

Martin: Schneewittchen hatte also recht?    #00:34:08-5#

Roland: Genau!    #00:34:13-4#

Martin: Schneewittchen war ein Gesundheitsnerdchen und wusste Bescheid. Deswegen hatte sie auch eine so schöne Haut.    #00:34:17-6#

Roland: Ein anderes Beispiel ist das Gemüse Mangold. Den gibt es in verschiedenen Farben. Es gibt roten Mangold, orangenen und weißen Mangold. Der weiße Mangold ist oft von lila Strichen durchzogen. Viele kaufen diesen ungern, weil er komisch aussieht. Diese Striche sind so genannte Anthocyane, die sehr gesund sind. Prof. Geilfus hat auf diesem Gebiet viele tolle Experimente durchgeführt, und zwar mit Pak Choi Gemüse. Wenn man dem Pak Choi absichtlich zu wenig Phosphate in die Nährlösung gibt, dann leidet er an einem Phosphormangel und baut mehr Anthocyane auf. Das ist ein verrückter Mechanismus. In der Hydroponik kann man durch einen Mangel, den man genau steuern kann, gesündere Lebensmittel produzieren. Das ist sehr spannend.    #00:35:27-5#

Martin: Es gibt ein Buch des Autors Jo Robinson, das sich genau mit diesen Themen beschäftigt. Es heißt “Knoblauch gegen Krebs und Blaubeeren für das Herz”. Wenn man Knoblauch kleinschneidet, sollte man zehn Minuten warten, bevor man es in die Pfanne haut, denn angeblich verdreifacht sich in dieser Zeit der Allicingehalt. Und Chicorée sollte man in Stücke schneiden und einen Tag im Kühlschrank aufbewahren. Das soll den Gehalt an Anthocyanen verdoppeln, weil das beim Chicorée eine Abwehrreaktion in Gang setzt. Außerdem sagt man, dass sich bei Brokkolisprossen der Sulforaphangehalt erhöht, wenn man sie eine Stunde lang in einem Wasserbad bei 37 Grad ziehen lässt. Dass man das in der Hydroponik zielgerichtet steuern kann, finde ich sehr spannend.    #00:36:32-7#

Roland: Wir steuern wirklich alles auf der Farm in Schweden, vom CO2 Gehalt über die Temperatur und die Feuchtigkeit bis hin zum Licht. Beim Licht kann man nicht nur die Anteile an roten und blauen Strahlen beeinflussen, sondern auch Teile eines bestimmten Rot-Farbtons, der dafür sorgt, dass sich die Zellen strecken. Es ist ein Pflanzen-Wellness-System, das uns die Möglichkeit bietet, den allerbesten Salat anzubauen.    #00:36:57-1#

Martin: Wahnsinn. Ich habe heute richtig viel dazugelernt, denn das war ein Thema, von dem ich bisher überhaupt keine Ahnung hatte. Die Hydroponik ist im Kommen, und deswegen finde ich deine Inputs ganz besonders spannend. Viele unserer Hörerinnen und Hörer sind gewerblich tätig, und deshalb interessieren uns deine Beratungen sehr. Wer kann sich bei dir melden, um beraten zu werden?    #00:37:23-5#

Roland: Ich bin vor allem auf die Nährlösungen in der Hydroponik spezialisiert. Alle, die bereits mit diesem Verfahren anbauen oder vielleicht etwas Größeres starten wollen, sind willkommen. Aber auch Privatleute können mir gerne eine Mail schreiben. Ich möchte gerne mehr davon in Deutschland, Österreich und der Schweiz sehen, denn leider hinken wir in Europa noch ein bisschen hinterher. Aber es kommt, und es wird immer mehr.    #00:37:52-1#

Martin: Wie können die Leute Kontakt mit dir aufnehmen?    #00:37:57-8#

Roland: Am besten schicken sie mir eine E-Mail an roland@nutrientservice.com. Den Link kannst du in die Show Notes der verschiedenen Artikel einstellen. Man findet mich außerdem, wenn man meinen Namen “Roland Sier” bei YouTube eingibt. Dort gibt es ein Interview von Agritecture zum Experiment von Prof. Geilfus mit dem Pak Choi und zu den UV-bestrahlten Microgreens, die gesunde Substanzen gebildet hatten.     #00:38:36-6#

Martin: Das werde ich natürlich alles verlinken. Auf deiner Webseite gibt es auch einige schöne Bilder von dir in der Hydroponik. Ich bin froh, dass wir heute über das Thema sprechen konnten. Vielen Dank für deine Zeit, lieber Roland, und alles Gute.    #00:39:06-7#

Roland: Danke, dir auch!    #00:39:16-0#

 

 

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