Machen Kohlenhydrate dick? Die Antwort wird Dich überraschen

von Martin Auerswald, M.Sc.
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Machen Kohlenhydrate dick? Was ist dran an den Anschuldigungen der Low-Carb-Szene?

Kohlenhydrate sind per se nichts Schlechtes, wie ich Dir im letzten Artikel (s. Wahrheit über Kohlenhydrate) schon einmal erklärt habe. Und spätestens seit Atkins Diät und Co. sind Kohlenhydrate vollends die Bösewichte geworden.

Der letzte Artikel hat Dir gezeigt, dass Kohlenhydraten nicht automatisch gut oder böse sind.

Heute geht es uns um den Mythos, dass Kohlenhydrate dick machen.

Kommentar: Ich gehe heute etwas mehr in’s Detail als gewohnt. Wenn Du nur die wichtigen Stichpunkte erfahren möchte, reicht es, wenn Du in jedem Artikel den Unterpunkt „Zusammengefasst“ liest.

Wieviele Kohlenhydrate am Tag machen dick?

Eine wichtige Grundlage ist, dass der Körper auch bei höherem Kohlenhydrat-Konsum zwischen einem Kaloriendefizit und Kalorienüberschuss unterscheidet. Manche schädlichen Prozesse stoßen Kohlenhydrate erst an, wenn ein Kalorienüberschuss herrscht.

Im Kaloriendefizit ist im Grunde egal, wie viele Kohlenhydrate Du isst – Dein Körper wird daraus kein Fett herstellen. Das gilt auf Umwegen auch für die gleich am Pranger stehende Fruktose.

 

Welche Kohlenhydrate machen dick?

  • Es gibt Fruktose (Fruchtzucker), der steckt in Obst und in Rohrzucker. Und es gibt Glukose, aus dem komplexe Kohlenhydrate – Stärke – bestehen.
  • Fruktose in Obst macht nicht dick, da die Energiedichte zu gering ist und Obst u.a. Ballaststoffe und Vitamine mit im Gepäck hat.
  • Fruktose in Rohrzucker (Süßigkeiten, Limonaden) und Fruchtsäften (>80% Fruktose) führt deutlich zu Übergewicht2, und das bereits ab 30g reiner Fruktose täglich. Ab dieser Menge beginnt die Leber, daraus Fett herzustellen – Sport kann das jedoch vollständig ausgleichen

Zusammengefasst: Obst macht nicht dick, Haushaltszucker und Fruchtsäfte schon – solange Du regelmäßig Sport treibst, macht Obst nicht dick.

  • Mir geht es heute um Glukose in Form von Stärke: Reis, Nudeln, Semmelknödel und Co. Es geht um Aussagen a.k.a. „Nudeln machen dick“. Und es geht um den Blutzucker (Glukose im Blut) nach dem Essen.

 

Machen Kohlenhydrate dick? 4 Herangehensweisen

#1 Der Randle-Zyklus oder: Fett und Kohlenhydrate zusammen meiden!

Ein gewisser Herr Randle hat in den Sechzigerjahren eine Studie veröffentlicht, die sich mit der Verstoffwechslung großer Mengen Kohlenhydrate und Fett – gleichzeitig – beschäftigt.

Er entdeckte, dass sich Blutfette und Blutzucker gegenseitig blockieren6. Die Fette verhindern die Aufnahme und Verbrennung von Blutzucker, im Gegenzug kann ein übermäßiger Blutzuckerspiegel die Verbrennung von Fett verhindern.

In diesem Fall – hoher Blutzuckerspiegel und hoher Insulinspiegel, jedoch kann der Zucker nicht in die Zellen – spricht man von einer vorübergehenden Insulinresistenz, die in einer chronischen Insulinresistenz enden kann. Außerdem entsteht aufgrund des abnorm hohen Blutzuckerspiegels eine Entzündungsreaktion, welche weitere Probleme nach sich zieht.

Insulinresistenz und Entzündungen im Körper sind leider auch die Vorstufe von Diabetes mellitus, der Übergewicht häufig mit im Gepäck hat.

Kommt diese Art von Reaktion (vorübergehende Insulinresistenz und Entzündung) häufiger vor, bildet Dein Körper Fett aus dem überschüssigen Blutzucker, da er sich irgendwie vor dem hohen Blutzucker schützen möchte.

>> Und in diesem Kontext machen Kohlenhydrate dick <<

Zusammengefasst

Meide Fett und Kohlenhydrate in großen Mengen zusammen – besonders, wenn Du abnehmen möchtest;

Fett + Kohlenhydrate – Kombinationen, die Du meiden solltest:

  • Reis und Kokosmilch
  • Nudeln mit Sahnesauce
  • Knödel mit Pfefferhaxe
  • Weißbrot mit Butter und Nutella

Vorschlag: Entweder, du meidest beide in Kombination, oder versuchst, den Protein- und Ballaststoff-Anteil (mageres Fleisch + viel Gemüse) in dieser Mahlzeit zu erhöhen. Dies puffert die nachteiligen Effekte ab.

Ein Nebeneffekt dieser „Stoffwechsel-Reaktion“ ist übrigens auch Konzentrationsschwäche (s. Konzentration steigern) und damit das klassische Schnitzel-Koma am Sonntagnachmittag.

Hinweis: Zeitlich versetzt ist das aber problemlos möglich. Ein kohlenhydrathaltiges Mittagessen und ein fettreiches Abendessen 6 Stunden später? Kein Problem 🙂

Starkes Übergewicht und Kohlenhydrate

Solltest Du etwas mehr Körperfett (>20%) mit Dir herumtragen, so passiert in Deinem Fettgewebe ein konstanter „spill-over“, bei dem Fett einfach so in die Blutbahn gelangt. Dies ist ein Grund, warum Menschen mit Übergewicht oft zu einer Kohlenhydrat-armen Ernährungsweise geraten wird (und zu Gewichtsverlust).

Warum, hast Du gerade gelernt: die Fette aus dem Fettgewebe unterdrücken die Aufnahme und Verwertung von Kohlenhydraten.

 

#2 Verarbeitete Getreideprodukte und modifizierte Stärken

Es geht um verarbeitete Getreideprodukte (Mehlprodukte) sowie modifizierte Stärken (industrielles Junk Food), die konzentriertesten Stärkequellen überhaupt:

Bei Menschen, die sensibel auf Zucker reagieren, kommt es nach so einer Mahlzeit zu einem starken Anstieg von Blutzucker. Darauf reagiert der Körper mit einer Entzündungsreaktion3,7, um Dich vor einem systemischen Zuckerschock zu schützen.

Infolge dieser Entzündungsreaktion wird viel Blutzucker in die Fettzellen gepumpt, die daraus dann Fett herstellen.

Bei welchen Menschen tritt dies auf? Ganz einfach: Menschen, die sich praktisch von derartigen Produkten ernähren (täglich Tiefkühlpizza und Croissants) und sich wenig bis gar nicht bewegen. Diese haben erfahrungsgemäß eine schlechte Insulinsensitivität (schlechte Insulinwirkung).

Solltest Du a) regelmäßig Sport betreiben und b) genannte Produkte in Maßen konsumieren, wird Dein Körper kein Fett daraus herstellen (mehr dazu unter #4).

Zusammengefasst

Meide oder reduziere derartige Produkte entweder ganz (gar kein Getreide) oder versuche, Getreide in seiner ursprünglichen Variante zu essen: als Sauerteigbrot oder als gekochte Körner.

Aus verschiedenen Gründen (mehr Kauleistung, mehr Ballaststoffe) führt dies nicht zu einem zu starken Anstieg des Blutzuckers.

 

#3 Körperliche Inaktivität macht dick

Das gilt für alle, die berufsbedingt, altersbedingt oder krankheitsbedingt den überwiegenden Teil des Tages sitzen oder liegen9:

Körperliche Inaktivität führt zu Insulinresistenz und Übergewicht.

Warum? Die Natur hat Kohlenhydrate als Belohnung nach einer Anstrengung vorgesehen: Nach einer Jagd etwa, oder nach Fasten, oder einem ekstatischen Tanz am Lagerfeuer. Dann steigt die Insulinwirkung, dann können die Zellen den Zucker besser aufnehmen, weil sie dann „hungriger“ sind.

Wer allerdings 5 Stunden auf dem Sofa gelegen und maximal die Fernbedienung bewegt hat, kann in diesem Moment mit den Kohlenhydraten nichts anfangen.

Denn im Umkehrschluss bedeutet körperliche Inaktivität, was schon in vielen Studien bewiesen wurde: wer nur sitzt (z.B. Schreibtischarbeit) oder liegt (z.B. Krankenhausaufenthalt, Couch-Potato), hat eine schlechtere Insulinwirkung und läuft Gefahr, bei einer großen Ladung Kohlenhydrate in eine Entzündungsreaktion wie bei #2 zu schlittern. Dies muss vermieden werden.

Mehr dazu auch hier: Abnehmen ohne Diät.

Zusammengefasst

Wenn Dein Alltag in etwa so wie beschrieben aussieht, hast Du zwei Möglichkeiten:

  1. Baue mehr Bewegung in Deinen Alltag ein: Spaziergänge; immer mal aufstehen; ein Stehtisch; kurze Lockerungsübungen
  2. Sollte Punkt 1. nur bedingt möglich sein, so achte auf eine Kohlenhydrat-reduzierte Ernährung mit gesunden Fetten und Proteinquellen, um Deinem Körper keine übermäßigen Entzündungsreaktionen zuzumuten, welche am Ende zu Übergewicht führen können.

 

Machen Kohlenhydrate dick? Ein Zwischenfazit

In den bisherigen Kapiteln ging es um Stoffwechsel-Zustände, die in eine Entzündungsreaktion münden. In diesem Kontext führen Kohlenhydrate zu Übergewicht.

Das kannst Du verhindern, indem folgendes tust:

  1. Fett und Kohlenhydrate getrennt essen
  2. Kein Zucker
  3. Kein Junk Food
  4. Kein verarbeitetes Getreide/modifizierte Stärke
  5. Bewegung in den Alltag einbauen

Also ein halbwegs gesundes, normales Leben. Diese Grundlagen waren durchaus wichtig, um die heutige Frage zu klären.

Aber bildet der Körper nicht von sich aus irgendwann Fett aus Kohlenhydraten, wenn es schlicht zu viele sind? Machen Nudeln ab einer gewissen Menge nicht von ganz allein dick?

Dieser Frage wollen wir nun nachgehen:

 

#4 Ab welcher Menge macht der Körper aus Kohlenhydraten Fett?

Diesen Prozess nennen wir de novo lipogenese (DNL), zu Deutsch: Neubildung von Fett. Dieser Prozess findet nur in zwei Körpergeweben statt: In der Leber und in den Fettzellen.

Dr. Hellerstein (1997) hat diesem Prozess seine halbe Karriere gewidmet.

Er schreibt: de novo lipogenese (DNL) findet im gesunden Körper praktisch nicht statt. Der Körper macht kein Fett aus Kohlenhydraten, sofern Du die oben genannten 5 Punkte berücksichtigst.

Er schreibt: „… DNL can occur, but it generally does not.“ (DNL kann auftreten, tut es aber im Normalfall nicht).

>> Und genau das ist der zentrale Punkt des heutigen Artikels: Dein Körper wird im gesunden Normalfall – entgegen der landläufigen Meinung – aus Kohlenhydraten kein Fett machen! <<

Menschliche Stopfleber – Ab wann macht der Körper Fett aus Kohlenhydraten?

In Hellerstein’s Studien werden Versuchspersonen (meist männlich, sportlich und 20-30 Jahre alt) mit Kohlenhydraten aus festen Nahrungsmitteln gemästet, um die DNL zu messen.

Dabei kamen einige sehr interessante Punkte heraus, die ich Dir kurz und stichpunktartig weitergeben möchten:

  • Was in das Fettgewebe eingebaut wird, sind nicht die ehemaligen Kohlenhydrate, sondern Nahrungsfette.
  • Einzelne Mahlzeiten mit Kohlenhydratmengen von bis zu 500g führten bei gesunden, halbwegs sportlichen Versuchspersonen nicht zu DNL.
  • Tagelange Kohlenhydrat-Mast führte bei diesen Personen auch nicht zu DNL.
  • Erst ab einer täglichen Menge von > 800g Kohlenhydraten kam es zu DNL. Das ist der Punkt, an dem die Stärkespeicher im Körper voll sind.
  • Herrscht Kalorienüberfluss, wird jegliches in der Nahrung enthaltenes Fett eingelagert, Kohlenhydrate werden jedoch nicht in Fett umgewandelt.
  • Getränke mit vielen einfachen Zuckern (Glukose und Fruktose) führten sehr schnell zu DNL und Fetteinlagerung.

 

Also keine Panik vor Reis und Co., sie werden nicht dafür sorgen, dass Deine Muffinkante wächst und gedeiht. Es sei denn, Du isst täglich 1 kg Reis – viel Spaß dabei 🙂

Wenn Du mir nicht glaubst, dann versuche folgendes Experiment: Versuche, an einem gewöhnlichen, aktiven Tag nichts außer Reis zu essen. Und zwar so viel wie möglich. Du wirst merken, dass es praktisch unmöglich ist, sich an einer halbwegs natürlichen Kohlenhydrat-Quelle (ganze Nahrungsmittel, hier unverarbeiteter Reis) zu überfressen und dadurch zuzunehmen.

Das wirst Du erst, wenn Du …

a) Den Tag auf dem Sofa verbringst

b) Den Reis zu Mehl vermahlst und daraus Reisbrot oder Ähnliches bäckst

c) Den Reis in reichlich Kokosmilch ertränkst

 

Zusammenfassung: Kohlenhydrate machen nur dick, wenn…

  1. …Du ständig Fett mit Kohlenhydraten mischst und gleichzeitig zu wenig Protein und Ballaststoffe
  2. …Du körperlich inaktiv bist
  3. …Du viel Übergewicht mit Dir führst und daran nichts änderst
  4. …Du zu viel Zucker (Rohrzucker) und Fruchtsäfte/Limonaden konsumierst
  5. …Du zu viel Junk Food und verarbeitete Kohlenhydrate isst

 

Fazit – Machen Kohlenhydrate dick? Nicht zwangsläufig!

Ich hoffe, Dir mit dem heutigen Artikel und der Frage “Machen Kohlenhydrate dick?” ein wenig die Angst vor den bösen Kohlenhydraten  genommen zu haben. In Maßen und in einer natürlichen Umgebung wird sich Dein Körpergewicht nicht nach oben bewegen, wenn Du gesunde, schadstoffarme Stärkequellen (z.B. Reis, Kartoffeln, Süßkartoffeln, Kürbis, einige Pseudogetreide) in Deinen Alltag einbaust und nicht mehr davon isst, als Dir Dein Magen zugesteht.

Denn eine gesunde Ernährung kann Kohlenhydrate enthalten, recht viele sogar.

Aber pauschale Stempel „Carbs sind böse“ sind bei gesunden Kohlenhydrat-Quellen nicht angebracht.

 

Ähnliche Beiträge wie “Machen Kohlenhydrate dick”, die Dich interessieren könnten:

 


  1. Acheson, K. J.; Schutz, Y.; Bessard, T.; Anantharaman, K.; Flatt, J. P.; Jequier, E. (1988): Glycogen storage capacity and de novo lipogenesis during massive carbohydrate overfeeding in man. In: The American journal of clinical nutrition 48 (2), S. 240–247.
  2. Basaranoglu, Metin; Basaranoglu, Gokcen; Bugianesi, Elisabetta (2015): Carbohydrate intake and nonalcoholic fatty liver disease: Fruktose as a weapon of mass destruction. In: Hepatobiliary surgery and nutrition 4 (2), S. 109–116. DOI: 10.3978/j.issn.2304-3881.2014.11.05.
  3. Collier, Bryan; Dossett, Lesly A.; May, Addison K.; Diaz, Jose J. (2008): Glukose control and the inflammatory response. In: Nutrition in clinical practice : official publication of the American Society for Parenteral and Enteral Nutrition 23 (1), S. 3–15.
  4. Giugliano, Dario; Ceriello, Antonio; Esposito, Katherine (2006): The effects of diet on inflammation: emphasis on the metabolic syndrome. In: Journal of the American College of Cardiology 48 (4), S. 677–685. DOI: 10.1016/j.jacc.2006.03.052.
  5. Hellerstein, M. K. (1999): De novo lipogenesis in humans: metabolic and regulatory aspects. In: European journal of clinical nutrition 53 Suppl 1, S53-65.
  6. Hue L, Taegtmeyer H. The Randle cycle revisited: a new head for an old hat. Am J Physiol Endocrinol Metab 297: E578 –E591, 2009
  7. Schiekofer, S.; Galasso, G.; Andrassy, M.; Aprahamian, T.; Schneider, J.; Rocnik, E. (2006): Glukose control with insulin results in reduction of NF-kappaB-binding activity in mononuclear blood cells of patients with recently manifested type 1 diabetes. In: Diabetes, obesity & metabolism 8 (5), S. 473–482. DOI: 10.1111/j.1463-1326.2006.00524.x.
  8. Spreadbury, Ian (2012): Comparison with ancestral diets suggests dense acellular carbohydrates promote an inflammatory microbiota, and may be the primary dietary cause of leptin resistance and obesity. In: Diabetes, metabolic syndrome and obesity : targets and therapy 5, S. 175–189. DOI: 10.2147/DMSO.S33473.
  9. Stephens, Brooke R.; Granados, Kirsten; Zderic, Theodore W.; Hamilton, Marc T.; Braun, Barry: Effects of 1 day of inactivity on insulin action in healthy men and women: interaction with energy intake. In: Metabolism – Clinical and Experimental 60 (7), S. 941–949. DOI: 10.1016/j.metabol.2010.08.014.

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1 Kommentar

Annegret 11. Dezember 2020 - 10:58

Ich finde eure Artikel immer sehr informativ. Was mich extrem stört, ist beständig der Hinweis, etwas bei Amazon zu kaufen – manchmal mit einem Link dazu. Man sollte doch lieber Bioläden unterstützen als diesen “Riesen”, Webshops, die Bioprodukte versenden oder den Buchhandel um die Ecke.

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